Abrüstungszynismus

■ Bushs Verzicht auf die Modernisierung atomarer Kurzstreckenwaffen in Europa

Zyniker können behaupten, der nukleare Eiertanz um die Lance -Nachfolge sei nur deswegen auf das Abrüstungsparkett gelegt worden, um die Öffentlichkeit vom nächsten Aufrüstungsschub abzulenken. Wer die Kommentarspalten der bundesdeutschen Presse vom Freitag liest, der muß feststellen, daß die Abrüstungsdebatte in Deutschland schon lange nicht mehr so uninformiert war wie heute. In der selbstgerechten Freude über eine nähergerückte dritte Null-Lösung wird völlig ignoriert, daß die Bush-Administration gerade im Begriff ist, die Chance für eine völlige Denuklearisierung Europas durch die Stationierung der luftgestützten taktischen Abstandswaffen, kurz TASMs genannt, zunichte zu machen.

Die Stationierung der TASMs in den westeuropäischen Ländern einschließlich Deutschlands ist dabei militärisch gesehen völlig überflussig. Sie resultiert aus einer automatischen militärischen Rüstungsdynamik und dem politischen Kalkül, mit dem die USA ihre Kontrolle der Nato aufrechterhalten wollen. Die Bundesregierung, in stiller, unheiliger Allianz mit Washington, tut unterdessen nichts, um die Stationierung der TASMs zum Thema zu machen.

Während dem Osten die Demokratie gepredigt wird, wird im Westen so die Politik weiterhin aus den Verteidigungsministerien diktiert, ohne daß eine öffentliche Abrüstungs-Diskussion stattfindet. Während der US -Öffentlichkeit sowieso egal ist, was in Europa geschieht solange dies nicht allzu viele Dollars kostet - hat sich in der Bundesrepublik im deutsch-deutschen Taumel offenbar die Einstellung durchgesetzt, das eh alles vorbei ist und die leidige Sprengkopfzählerei und Kontrolle der Abrüstungsbemühungen überflüssig geworden sind. Wenn es den versprengten Resten der Friedensbewegung nicht bald gelingt, die TASMs und die Frage einer völligen Denuklearisierung Europas auf die politische Tagesordnung zu hieven, falls sich die SPD nicht bald dazu aufraffen kann, die neuen Abstandswaffen in mehr als einem belanglosen Nebensatz abzuhandeln, dann wird der nächste Schritt zur Aufrüstung in Europa kaum noch zu verhindern sein. Dann wird von der Bush -Administration mit der Regierung Kohl im Schlepptau auch weiterhin auf den Sensibilitäten einer sowjetischen Führung herumgetreten werden, so als könne dem Westen alles egal sein, was seine Siegerpose jenseits des Baltikums anrichtet.

Rolf Paasch