Ratlos unter sich

Die Kommunalwahlen in der DDR  ■ K O M M E N T A R E

An diesem Wochenende finden die ersten echten DDR-Wahlen statt: Kommunalwahlen. Anders als bei den Volkskammerwahlen sind die DDR-BürgerInnen diesmal weitgehend unter sich. Der westlichen Politprominenz schien wohl die Schaffung einer demokratischen Kommunalstruktur nicht mehr so wichtig, daß sich größerer Einsatz gerechnet hätte: Die Entscheidung für eine schnelle Vereinigung ist bereits gefallen, ihre Konditionen werden hinter Türen ausgehandelt, die dem Volk ebenso wie dem Parlament verschlossen sind. Man sollte die bundesdeutschen Parteien für ihr nachlassendes Engagement nicht schelten - schließlich war ihr Einsatz vor dem 18. März nicht sonderlich erfreulich. Das zart sprießende Gras mündiger Selbstbestimmung, das sie damals zertrampelt haben, hat sich noch nicht wieder aufgerichtet.

Nach dem Vakuum, das der Zerfall der alten Führungsschicht hinterlassen hat und das zeitweilig von westlicher Politprominenz gefüllt worden war, entstand durch deren Ausbleiben im Kommunalwahlkampf eine neuerliche Leere. Gefüllt wurde dieser Raum nicht durch aktives Engagement von unten, sondern durch eine Fülle unbekannter Namen. Auch auf Seiten der DDR-Parteien war der Einsatz nicht allzu groß.

Die meisten DDR-BürgerInnen sind angesichts dieser Wahl schlichtweg ratlos: Sie können drei KandidatInnen ankreuzen und kennen häufig noch nicht einmal einen. Die Initiativen und Bürgerrechtsbewegungen, die im Oktober und danach an den Runden Tischen die Revolution vorantrieben, sind inzwischen an den Rand des Geschehens gedrängt. Immerhin sind ihre Aktiven als aufrechte Demokraten bekannt, das mag für sie zu einem etwas besseren Ergebnis als noch im März führen.

Bei den letzten Kommunalwahlen, die gerade ein Jahr her sind, wußte man das Ergebnis im voraus. Spannend war damals vor allem die Frage nach der Wahlbeteiligung. Zumindest diese Frage haben die morgigen Kommunalwahlen mit den letzten gemein. Das Ergebnis zu prognostizieren, ist diesmal etwas schwieriger, weil die DDR-Gesellschaft, die sich da politische Strukturen geben wird, sich selbst nicht kennt. So bliebe als Hilfsmittel für eine Prognose nur der Rückgriff auf das Trägheitsgesetz: Gewählt werden diejenigen, die schon beim letzten Mal - den Volkskammerwahlen - gewählt worden sind, beziehungsweise jene, die über entsprechende Apparate zur Gewinnung von Stimmen verfügen, die alten „Blockparteien“.

Ob es hilfreich ist, in dieser Situation auf Gramsci zurückzugreifen? Er schrieb, „daß das statistische Gesetz in der Wissenschaft und Kunst der Politik nur solange verwendet werden kann, als die großen Massen der Bevölkerung wesentlich passiv bleiben“. Und er fügte hinzu, „daß die politische Aktion gerade dahin tendiert, die Massen aus ihrer Passivitität herauszuholen, das heißt, das Gesetz der großen Zahl zunichte zu machen.“ Im Oktober war das so. Aber wo wäre im Mai eine politische Aktion in Sicht, die sich auf „die Massen“ stützt?

Walter Süß