Ihr Altlinken!

Offener Brief einer jungen Ökologin an die alten Linken  ■ D E B A T T E

Ich bin es satt. Ich bin es satt mit Euch. Ab sofort fordere ich eine Beweislastumkehr innerhalb der Grünen Partei: nicht die ÖkologInnen müssen beweisen, daß die industriealismuskritische Sicht vonnöten ist, sondern die Linken sollen mal vormachen, wie man mit den Prinzipien und Theorien des 19.Jahrhunderts die Probleme des 21. lösen kann.

Die Trutzburg-Linke behindert das grüne Projekt - entweder die Linke macht sich endlich die Mühe, ihren Standort unter den Bedingungen einer ökologischen Zeitenwende neu zu durchdenken, oder das grüne Projekt wird sich einen neuen Träger suchen. Aber Ihr laboriert am 19. Jahrhundert und an Euren Verdrängungsstrategien über das reale Scheitern des existierenden Sozialismus.

Und wer kümmert sich um meine Ängste über das Scheitern unseres Zivilisationsmodelles? Wer fragt danach, wie ich die Trauer um meine Zukunft, die ich verloren glaube, verarbeiten soll?

Ihr glücklichen Linken, ihr habt es gut: Ihr könnt richtig traurig sein. Euch steht es frei, über das Vergangene, Eure Identität und alten Hoffnung und Enttäuschungen nachzudenken, Ihnen wehmütig aus der immer größer werdenden Ferne zuzuwinken und Euch dann nach dem Neuen umzudrehen: dem ökologischen Projekt.

Da bin ich schlechter dran. Das, was ich bedauere, kann nie überwunden werden, weil das Ende der Geschichte im ökologisch zerstörten Diesseits den Gedanken an ein Neues nicht zuläßt. Deswegen bleibt mir statt der Trauerarbeit nur die Hoffnungsarbeit: daß es so nicht kommen möge und das Ende zu hindern sei. Ich bin vierundzwanzig. Ich will von meiner Zukunft retten, was noch zu retten ist. Und ich bin es so leid, daß Ihr APOlogeten des 19. Jahrhunderts es meiner Hoffnungsarbeit durch Eure mißglückte Trauerarbeit so schwer macht. Weil Ihr eben immer noch am Alten festhaltet und Euch nicht auf die Reise begebt.

Ihr seid so anders als ich: Ihr weint darüber, daß der reale Sozialismus den humanistischen Gehalt des wahren Sozialismus desavouiert hätte und beteuert trotzig-tapfer, daß der Untergang des Realen doch nicht das Ende des Idealen bedeute - nach dem Motto: der Sozialismus ist tot, es lebe der Sozialismus!

Während Ihr den Träumen nachhängt und Euch in den Kissen der romantischen Verlierer plüschrot zurecht kuschelt, drohe ich an meiner Zukunft zu verzweifeln. Die allmorgendliche Lektüre der Rubriken aus aller Welt vervollständigt das Puzzle des Öko-Kollapses. Die Hälfte des sowjetischen Ackerlandes ist durch chemische Verseuchung und Bodenerosion unfruchtbar, der Aralsee durch die Baumwollfabrikfelder verdurstet, die Vögel ziehen nicht mehr nach Süden und der Algenteppich wabert bereits vor der Adriaküste - kleine Auslese im Monat April.

In den Wald gehe ich nicht mehr spazieren, weil ich Friedhöfe noch nie mochte. Daß die Politiker da nichts gegen unternehmen, schimpft ein Spaziergänger, als er aus dem Auto steigt, mit dem er die anderthalb Kilometer ins „Naherholungsgebiet“ gefahren ist. Wieso kommt eigentlich niemand auf die Idee, die Stürme nach Automarken zu benennen und nicht länger die Autos nach Winden?

Aber ich muß mich von Euch Linken belehren lassen, daß die ökologische Frage keine individualistische ist und erst recht nicht durch den pfuiigen Verzicht des Einzelnen zu lösen, daß der Hauptfeind bei Bayer, BASF, der deutschen Atomindustrie und in den Strukturen lauert. Das sind die badguys und wenn es darüberhinaus noch welche geben sollte, dann sind es die Porschemercedestempozweihundert-Raser. Alle anderen müssen nämlich eh Hundefutter in kalten Kellerwohnungen essen, und wer deren Interesse nicht vertritt und meint, die Klassenfrage gäbe es nicht mehr, ist ein SozialoverräterInnenschwein respektive Sau.

Ökologisch sein, heißt links sein, muß ich mir weiter anhören, weil das ökologische Problem nach der Systemfrage verlange und die sei aus der Sicht der sozialistischen Idee auf der Basis einer um Spätkapitalismuskritik, Stamokappes, EG-Binnenmarktkritik und Pipapo erweiterten marxistischen Analyse immer noch am besten zu stellen. Kurz: nur die Linken sind die wahren ÖkologInnen und wer anderes sagt, soll doch hingehen, wo der Gruhl oder besser noch: der Springmann wächst.

Das ist so eine der weiteren Unverschämtheiten von Euch: wer Euch kritisiert, kann nur ein/e Rechte/r sein, weil es jenseits des Rechts-Links-Kontinuums keine für Euch vorstellbaren Politkonzepte gibt.

Übrigens: nicht, daß hier jemand meint, ich rede nur von 'Konkret‘ und 'Arbeiterkampf‘ - auch die versofteteren Varianten müssen endlich auf die Reise gehen. Dann auch JosephF. aus F. meint, daß die Traditionssozialisten ja gar nicht die richtig Linken seien und die wahren linken Inhalte nie verstanden und vertreten hätten - im Gegensatz zu ihm. (Die spielen Habermas gegen Gysi, sagt mein gleichaltriger und um die Zukunft besorgter Mitstreiter und wir wenden uns achselzuckend ab.)

Wer als SPD-Realo-Grüner glaubt, mit dem Vehikel Ökologie die USPD-Linke-Grünen aus der Partei vertreiben zu können, und damit der radikalen Infragestellung des Bestehenden eine Absage zu erteilen, der hat von der Ökologie genausowenig verstanden, wie jene, die nur den Diskurs des Geldes und des Profits für ökologische Zerstörungen verantwortlich machen. Denn die ökologisch motivierte Kritik stellt das Bestehende sehr viel radikaler infrage als knallharteste marxistische Entlarvung. Sie wird vor den Strukturen und der Weise industriegesellschaftlicher Produktion ebensowenig halt machen, wie vor dem alles überwölbenden demokratischen Diskurs der Bequemlichkeit im Hier und Jetzt für Dich und mich. Bewegt Euch doch endlich! Ich weiß, daß Euch das so schwer fällt, weil Ihr den Begriff „links“ synonym setzt mit „für das Gute sein“. Aber dafür meinen die Rechten auch zu sein. Wenn Links-sein wirklich nur hieße: für alles Gute soziale Gerchetigkeit, Hilfe für die Schwachen, für eine unzerstörte Natur etc. - und gegen alles Schlechte - gegen Ausbeutung von Mensch und Natur - dann wäre doch links ein völlig beliebiger Begriff. Für beziehungsweise gegen das eben Genannte ist die katholische Soziallehre nämlich auch. Ist sie deshalb links? War Platon ein Linker, weil er der Idee des Guten und Schönen zur Realität verhelfen wollte?

Links ist eben wesentlich ökonomisch definiert - durch die Bewertung der Besitzverhältnisse an den Produktionsmitteln und der Klassenfrage. Und die linke Position stellt gegen die schlechte Wirklichkeit die Idee der guten sozialistischen Gesellschaft. Für diese ist aber nicht nur das Versprechen auf soziale Gerechtigkeit konstitutiv, sondern auch die feste Überzeugung, daß nach Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse die Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums noch lustiger sprudeln. Mit dieser Ausrichtung auf ökonomisches Wachstum unterscheidet sie sich in nichts von dem kapitalistisch -liberalen Paradigma.

Zudem grundiert eine innerweltliche Wohlfahrtsutopie Kapitalismus wie Sozialismus und verspricht alles Glück im Habenhabenhaben. Die Forderung nach Selbstbegrenzung steht eben nur vermeintlich gegen das Emanzipationsparadigma, welches sich bei genauerem Hinsehen als schrankenloses Recht auf grenzenlosen Konsum und Zukunftsfraß entpuppt.

So macht das sozialistische Projekt auch nur innerhalb der Industriegesellschaft einen Sinn: als Antwort auf die Frage, wie der sich stetig vergrößernde Kuchen gerechter zu verteilen wäre. Das aber ist nicht die ökologische Antwort auf die Misere der Industriegesellschaften.

Ich will noch einen letzten Versuch in Eurer Sprache starten: Der Kapitalismus und der Sozialismus haben die Industriegesellschaft nur verschieden interpretiert, es kömmt aber darauf an, sie zu überwinden.

Neue Fragen, neue Antworten. Ich wünsche den alten HeldInnen der alten Krisen, daß sie sich dem Neuen öffnen. Oder mich und das grüne Projekt endlich in Ruhe lassen.

Eine, die an ihre Zukunft denkt, Tine Stein

P.S.: Probiert es gleich morgen, noch schlaftrunken, vor dem Spiegel. Ihr sagt laut vor Euch her: Ich bin kein Linker mehr, dreimal, und Ihr werdet sehen, daß Ihr keine Pickel kriegt. Höchstens grün anlauft.

Die Autorin ist Mitglied der Partei „Die Grünen“.