Ab in die Wanne

■ Lorenzo Ferreros Oper „Charlotte Corday“ in Bremen

Die kurze, heftige, radikale Geschichte der Maria Anna Charlotte Corday, ehemals d'Armans - das ist ein Stoff, aus dem modernes Musiktheater sich entwickeln kann. Aus Empörung über die jakobinischen Usurpatoren des 31.Mai 1793 entschloß sich die in klassischer Philosophie und der Geschichte wohl bewanderte Aristokratentochter aus Caen, in die Zeitgeschichte einzugreifen. Ihrem Vater sagte sie, vor der Bedrohung durch Frankreichs neue herrschende Klasse nach London ausweichen zu wollen. Die 24jährige aber fuhr Mitte Juli 1793 nach Paris, um das Zentrum des Terrors durch einen Anschlag empfindlich zu treffen, den „ruchlosen Marat“ zu ermorden. Nach vollbrachter Tat schrieb sie dem Vater eine Entschuldigung, daß sie ihn hinterging, und rechtfertigte das Attentat: „Ich habe mein Vaterland von diesem Ungeheuer befreyt. Oh, Ihr unglücklichen Republikaner! Muß euch ein Weib den Weg zu erhabenen Handlungen zeigen.“

Kurz nach dem tödlichen Messerstich wurde die Corday gefaßt. Drei Tage später wurde ihr der kurze Prozeß gemacht. Sie verteidigte sich brillant vor dem Revolutionstribunal, nutzte es als Tribüne zur Abrechnung mit der Clique Marat, Robespierre, Danton und deren Parteigängern. Auf die Frage, ob sie die republikanische Regierungsform liebe: „Ob ich sie liebe? Ich liebe sie und kennne sie besser als jemand anderes; aber den Franzosen fehlt es an Geist und Energie, Republikaner zu sein. Ich sehe nichts als Egoisten, die ihr Vermögen auf den Ruinen ihrer Mitbürger zu erheben suchen. Ich sehe in der Versammlung des Convents unwissende und feige Memmen, die da dulden, daß einige wenige Bösewichter die Menschheit mit Füßen treten und den Bürgerkrieg anzünden. Ich bin müde, länger unter einem so sehr herabgewürdigten Volk zu leben.“ Charlotte Corday glaubte, mit ihrem Dolchstoß den gordischen Knoten durchstoßen zu haben: „Mein Vorsatz war, denjenigen umzubringen, der die Hauptsache des Bürgerkriegs war. Das Haupt der Anarchie ist nicht mehr, und der Friede wird nun euer Los sein.“

Nach eigenem Bekunden hatte die Attentäterin die Prinzipien der Republik vor allem an den antiken griechischen und römischen Vorbildern studiert: Bei ihrer Ankunft in Paris machte sie sich nicht im Detail des politischen Tagesgeschäfts sachkundig, sondern verschaffte sich umgehend durch eine List bei Marat Zutritt. Am 12. Juli in der Frühe ersuchte sie ihn schriftlich um einen Gesprächstermin vergeblich. Nachmittags stellte sie ihm in einem zweiten Schreiben den Verrat „wichtiger Geheimnisse zur Rettung der Republik“ in Aussicht. Bei ihrer Abreise in Caen hatte sie noch erwogen, Marat im Convent „zu opfern“, wollte ihn dann „incognito umbringen“. Aber sie war sich von vornherein des Risikos und des Preises ihres Unternehmens bewußt. „Da ich wirklich bey kaltem Blut war, so that mir das Geschrey einiger Weiber wehe; aber wer sein Vaterland rettet, den kümmert's wenig, was es kostet.“

Es war, darüber kann angesichts der Quellenlage kein Zweifel bestehen, eine durchweg politisch motivierte und begründete Tat - von langer Hand geplant und in der Absicht ausgeführt, durch das Opfer eines Menschenlebens viele zu retten. Sie nannte vor Gericht keine Mitverschwörer, bekannte sich allein zur Urheberschaft der Idee; sie lehnte geistlichen Beistand vor der Hinrichtung ab und antwortete auf die Frage, ob sie schwanger sei: „Ich habe keinen Mann gekannt und keinen gefunden, den ich meiner würdig geglaubt hätte.“ Daß der rasche Prozeß und die sofortige Hinrichtung der Corday keineswegs auf einhellige Zustimmung stießen, deutet der zwei Tage nach ihrem Tod publizierte Vorschlag an, am Ort der Guillotine eine Corday-Bildsäule aufzustellen mit der Inschrift: Größer als Brutus.

Giuseppe di Levas Libretto für die Oper Charlotte Corday verbindet den äußeren Handlungsrahmen des Attentats effektvoll mit Spekulationen über die Gedanken und Gefühle Marats - und mit einer frei dazuerfundenen Beziehungsgeschichte zwischen Opfer und Täterin. Das bringt die ungeheure Begebenheit um ihre Schärfe. Die Männergehirne, die getextet, komponiert und in Bremen inszeniert haben, können sich die Frau wohl nur als Triebtäterin vorstellen, den Tötungsakt als Ausdruck verletzter Weiblichkeit. Die auf die alten Briefe, Gerichtsakten und zeitgenössischen Dokumente gestützte Historie dieser Corday wäre ungleich brisanter gewesen als das operettöse Textkonglomerat, das für die Bremer Aufführungen ins Deutsche gebracht wurde.

Gespielt wird im „Schlachthof“ - und das ist der rechte Ort, die Geschichte zu schlachten. Passend zur Backsteinarchitektur der jetzt als Kulturzentrum dienenden ehemaligen Fleischfabrik wurde von Maren Christensen ein Aufgang mit drei Serpentinen entworfen, auf dem die Handlung abläuft; zur Rechten ein Eisenbalkon für die Convents -Sitzung, zur Linken das erhöht postierte Orchester. Arno Wüstenhöfer inszenierte die Straßenszenen mit reichlich Bewegung: die Umzüge der bewegten Zeit, das hungernd hingekauerte Volk, das Durchkämmen des Terrains durch Gaston und dessen Sicherheitskräfte, die Abgeordneten im Regen, der Betrunkene und die Händlerin zeigen sich mit praller Wucht. Wie dem Jean Paul Marat aber die Charlotte Corday auffällt, wie sie sich zweimal, den Dolch bereits im Gewande, an ihn heranpirscht; wie er sie im dritten Akt schließlich an seine Badewanne bittet, aus dieser heraus und ihr nachsteigt, wie er sich wieder ins lindernde Naß begibt und sie schließlich zu sich heran- und damit den Tod auf sich zieht, das bringt dies Musiktheaterstück um die Chance, als Kunstwerk von Rang, auch nur als Produktion mit einem gewissen Mindestniveau ernst genommen zu werden. Die Inszenierung entwickelt sich zu einem der Textvorlage und der Musik adäquaten Ärgernis.

Die Komposition des Lorenzo Ferrero mutet über weite Strecken an wie eine nachgelassene Oper Puccinis, in die einige Schlagzeugpatzer deplaciert wurden. Bei aller Bewunderung für die Sängerleistung der Teresa Erbe (Charlotte Corday), der Herren Volpe, Dolter und Galczuk (als Marat, Gaston und Camille) - der schamlos plagiatorische und plakative Tonsatz, an dem sie ihre Stimmkunst üben, ist nicht zu überhören. Ferrero bekennt sich, polemisch gegen die Moderne argumentierend, zum Vorbild Puccini: einzig er „wußte ganz genau, wo und wie er das Publikum zu Tränen rühren konnte“. So schuf Ferrero eine Musik wie für eine RAI-Familienserie in der Hauptsendezeit. Von der Absicht her, rühren zu wollen, erklären sich die Verbiegungen der Geschichte, die Denunziation der Frauenfigur und die Abgeschmacktheit der Musik. In Bremen auf offener Bühne mit dem an Marlon Brando erinnernden Marat -Darsteller in der Wanne zu landen: das hat die Heldin der ersten französischen Republik nicht verdient.

Frieder Reininghaus

Weitere Aufführungstermine: 4., 10., 15., 17., 25., 27.Mai und 2.Juni. Ort: Schlachthof Bremen.