Die kluge Diva

Svetlana Boginskaya (UdSSR) gewinnt die Turn-EM im Vierkampf, während die Bundesdeutschen sich freuen, nicht mehr ganz zu den Exoten zu gehören  ■  Aus Athen Thomas Schreyer

Die Turndiva aus Minsk hat sich nicht verändert. Stolzen Schrittes geht sie auf ihr Gerät zu - ganz so, als wäre jeder Zentimeter, jede Muskelbewegung alleine dafür einstudiert. Svetlana Boginskaya hielt das ganze Publikum in Atem, das, keineswegs nationalistisch gestimmt, ein gutes Gefühl für gute Leistungen mit heftigem Applaus demonstrierte.

Da konnte nur Fofo Varvarioutou mithalten: Für die korpulente Griechin standen die ZuschauerInnen sogar auf. Sie belohnten ihre Turnübungen. Doch bei Svetlana Boginskaya wurde die Turnkunst beklatscht. Dieses großgewachsene Mädchen ist eine Klasse für sich, eine Bewegung ist ausdrucksstärker als die andere. „Dabei hatte ich sogar schon öfter Schwierigkeiten mit meiner Größe“, sagt sie. „Bei den rhythmischen Übungsteilen habe ich das häufig als Handicap empfunden.“

Dies wußte sie aber durch „hartes Training und Fleiß“ zu kompensieren. In Athen gab sie eine glänzene Abschiedsvorstellung, wenn die Europameisterschaft als Abschied gedacht war - mit einer 10 beim Sprung und 9,975 am Barren.

Boginskaya möchte nämlich das Handtuch werfen. So hat sie sich noch vor dem Wettkampf geäußert. Bei den „Spielen des Guten Willens“ Ende Juli in Seattle soll es endgültig den letzten Auftritt geben. Doch nach dem Sieg in Athen: „Also nach diesem schönen Wettkampf muß ich mich ehrlich fragen, ob ich schon aufhören will. Ich werde das nochmals überdenken!“

Sie lächelte - und das kommt eigentlich selten vor, selten zumindest im Wettkampf, wo alles pure Konzentration ist.

Svetlana Boginskaya ist nahezu konkurrenzlos. Allerdings, das will sie betonen, kann sie die Frage nach möglichen „Gegnerinnen“ nicht hören. So gefragt von einem an „kapitalistische Verhältnisse“ gewöhnten Journalisten, nach dessen Vorstellungen alles und jeder ein „Gegner“ sein kann, antwortete die kluge Diva: „Ich habe keine Gegnerinnen. Wir sind alle in einem Feld und versuchen das Beste daraus zu machen.“

Das Feld wird aber auf weiter Linie nur von den Sowjets angeführt. Mithalten kann gerade noch die Ungarin Henrietta Onodi, die sich aber schon schwächer präsentierte als noch 1989. Weit abgeschlagen nun auch die Rumäninnen: Ihnen blieb der Sieg „victorie“ nur noch als Initiale aus einer Revolution übrig, die in den Köpfen der RumänInnen noch nicht stattgefunden hat: Das „V“ auf den Turnanzügen soll offensichtlich überdecken, daß immer noch die Alten das Sagen haben, daß die Maulkorbdiktatur weitergeht.

Aus - allerdings nicht bestätigten - Quellen ist zu hören, daß die Turnerinnen weiter unter Druck gesetzt werden sollen. Ecaterina Szabo, die vor wenigen Wochen in der taz über die Manipulationen im rumänischen Turnverband aussagte, soll zur Rücknahme dieser Äußerungen gedrängt worden sein. In Athen anwesende Trainer sollen den KampfrichterInnen versichert haben, daß es in Rumänien keine Altersmanipulationen gegeben habe. Peinlichen Pressekonferenzen mußten sich die rumänischen Offiziellen bislang allerdings nicht stellen.

Die bundesdeutschen Turnerinnen hatten da mehr Freude: Sie verbesserten sich gewaltig und waren rundweg zufrieden. Schmunzelte Sportdirektor Eduard Friedrich: „Wir gehören jetzt nicht mehr ganz zu den Exoten!“

1. Swetlana Boginskaja (UdSSR) 39,874 Punkte; 2. Natalia Kalinina (UdSSR) 39,637; 3. Henrietta Onodi (Ungarn) 39,636; 4. Eva Rueda (Spanien) 39,487; 5. Mirela Pasca (Rumänien) 39,187; 6. Maria Neculita (Rumänien) 39,162; ...28. Andrea Drissler (Bergisch-Gladbach) 37,636; 29. Ruscha Kuril (Mannheim) 37,612; 46. Manuela Rutmann (Dormagen) 36,287