Eine Droge für St. Pauli

Gehässigkeiten des HSV retteten St. Pauli vor dem Abstieg  ■  PRESS-SCHLAG

Manfred Donike, vom 'Spiegel‘ arg gerupfter Kölner Dopingpapst, war noch nie am Millerntor. Kein Wunder: Erstens haben die St. Paulianer ihren väterlichen Freund, den Vereinsarzt Peter Benckendorff: Ein Mann, der vom Kopfweh über Beziehungsprobleme, Kniescheibenschürfungen bis hin zu veritablen Kreuzbandrissen alles in den Griff zu kriegen pflegt. Und zweitens haben die Kicker vom Kiez ihr Publikum - das ist schließlich, republikweit bekannt, für alle so eine Mischung aus Captagon und Valium, Aufputschmittel und Seditivum in einem.

Eine dritte geheimnisvolle Droge hat dem FC St. Pauli zum umjubelten, umkreischten, delirierenden 3:0-Sieg über Bayer Leverkusen verholfen, eine allerdings streng nichtmedikamentöse Hilfe. Und die hat mit dem HSV zu tun: Vor zwei Wochen, als die einstige Nobelmannschaft von der vornehmen Rothenbaumchaussee echt mit dem „Arsch auf Grundeis“ (ein Mitarbeiter der FC St. Pauli-Geschäftsstelle) saß, gab Heinz Weisener, mit schönen Halstüchern ein ständiger Geheimtip für Frauen mit Herz für soignierte Herren und seines Zeichens Präsident des FC St. Pauli, eine staatsmännisch anmutende Erklärung an die Öffentlichkeit, man solle doch dem armen, abstiegsbedrohten HSV helfen.

Was gut (oder vielleicht infam?) gemeint war, hat die Funktionärsetage des HSV zum Überschäumen gebracht: Ersatzpräsident Horst Becker stotterte vor Entsetzen („Das haben wir nicht verdient, schließlich sind wir in Hamburg immer noch die Nummer eins“), doch Kassenwart Ernst-Otto Rieckhoff klinkte völlig aus. Der schnauzbärtige Mann, dessen bissiger Dackelblick andeutet, daß es sich bei ihm um einen leitenden Angestellten handeln muß (unterwürfig zu den Dobermännern, unerbittlich zu den Pinschern): „Wir müssen bis zum letzten Spieltag in Sicherheit sein. Dann können wir gegen Mannheim verlieren, damit St. Pauli absteigt.“ Die kleine Sottise, eigentlich doch nur für den Privatgebrauch bestimmt, nahm ihren verhängnisvollen Weg Richtung Heiligengeistfeld, dort, wo das Stadion des FC St. Pauli liegt. Ob die kleine Gehässigkeit nun Benckendorff weitergetratscht hat - ganz im Sinne des ökologisch sinnvollen Dopings - oder eine andere mitteilsame Zunge nicht an sich halten konnte: Egal, die Spieler, von A wie Andre Golke bis W wie Waldemar Steubing, kriegten plötzlich wieder Kraft.

Gegen die Aspirinis vom Rhein spielten sie nicht mehr wie beim 0:2 gegen Kaiserslautern oder die anderen Spiele der letzten Wochen, als die uefapokalplatzverdächtigen St. Paulianer wieder in den Abstiegsstrudel gerissen wurden. Mit gespenstischer Konsequenz fegten sie die Leverkusener Abwehr auseinander. Drei wunderschöne Tore unter glühender Nachmittagssonne machten den auswärtig weilenden HSV-Kröten klar, daß der FC St. Pauli zwar gutwillig, aber nicht blöd ist.

Insgesamt allerdings jubelten die 16.900 Zuschauer fünfmal: Dreimal orkanartig nach den Toren und zweimal nach den Lautsprecherdurchsagen, die die Kölner Treffer gegen den HSV bekanntgaben. Mit anderen Worten: Ernst-Otto Rieckhoff ist auf St. Pauli ein Mittel, das gar nicht hoch genug dosiert werden kann. Ganz gehässige Menschen hatten schon zwei Minuten nach dem Schlußpfiff gerechnet: Wenn Bochum gegen Karlsruhe gewinnt und Mannheim im Volksparkstadion gegen den HSV... Nein, nur ein Einzelstimme. Letztlich sind auf dem Kiez alle soigniert. Wie Heinz Weisener, der Hamburger Staatsmann.

Jan Feddersen