Südkoreas fragiler Demokratie steht eine harte Bewährungsprobe bevor

Der südkoreanischen Hauptstadt Seoul steht ein langer heißer Sommer bevor - Arbeitskämpfe und politische Unruhen. Heute haben über fünfzig Gewerkschaften der im Januar gegründeten demokratischen Gewerkschaftsföderation Chonnohyop ihre Mitglieder zu Solidaritätsstreiks aufgefordert, um gegen das gewaltsame Vorgehen der Regierung gegen die Arbeiter der Hyundai-Schiffswerft und die Angestellten der KBS -Fernsehgesellschaft zu protestieren.

Zehntausende werden sich in den nächsten Tagen noch anschließen, vermuten Gewerkschafter in Seoul. Für den 9. Mai, den Tag, an dem die südkoreanische Nationalversammlung wieder zusammentritt, wurde ein Generalstreik angekündigt. Auch die Studenten haben für diesen Tag Aktionen geplant. Die wiederholte Androhung massiver Maßnahmen gegen die Streikenden in der vergangenen Woche, aber auch die Intervention des Oppositionsführers Kim Dae Jung, der Vorsicht anriet, sorgten vorerst für eine gewisse Entspannung. Heute wollen die Streikenden ihre Arbeit wiederaufnehmen. Viele haben sich jedoch krank gemeldet oder ihren Urlaub angekündigt. „Was in der nächsten Woche geschieht“, spekuliert ein Gewerkschafter in Seoul, „hängt wesentlich vom Schicksal der noch immer auf dem Kran ausharrenden Werftarbeiter ab. Sollte die Regierung mit unverhältnismäßiger Gewalt einschreiten und sollte es dabei zu Verletzten kommen, werden mit Gewißheit im ganzen Lande massive Arbeitsunruhen ausbrechen.“

Über 300 Gewerkschafter hat die südkoreanische Regierung in der vergangenen Woche festgenommen. Die meisten sind zwar wieder auf freiem Fuß. Gegen den am Freitag inhaftierten Führer des KBS-Streikes, Chun Young-Il, wurde aber Anklage erhoben, ebenso gegen sämtliche Anführer des Hyundai -Streiks. Sechs weitere KBS-Gewerkschafter sucht die Polizei per Haftbefehl.

Provokation

Die Eskalation der Auseinandersetzung der vergangenen Woche war eine Folge des unverhältnismäßigen Polizeiaufgebots. 13.000 Polizisten kommandierte die Regierung ab, um den gerade erst drei Tage dauernden Werftarbeiterstreik zu brechen. Montag abend vor einer Woche stürmten zudem 3.000 Sicherheitsbeamte die staatliche Sendeanstalt, um den bis dahin 19tägigen Streik zu beenden. Nun steht der Regierung eine größere Konfrontation mit den seit Anfang des Jahres vereinigten Gewerkschaften bevor. Klar ist, daß die Regierung den Protest provoziert hat, wenngleich sie alles daran setzt, die landesweite Ausbreitung des Arbeitskampfes zu verhindern. Auf die Zuspitzung der Situation reagierte sie mit einer zweitägigen Krisensitzung. Klar ist auch, daß sie an ihrer Streikbrecherpolitik festhalten wird. Generalstaatsanwalt Kim Ki Choon hat bereits angedroht, daß er gegen weitere KBS-Angestellte Untersuchungsverfahren anstrengen wird, und er warnte die Streikenden, sie könnten sich auf scharfe Maßnahmen gefaßt machen, wenn sie sich an den illegalen Protestaktionen beteiligen sollten.

1989 wurden etwa 7.000 ArbeitsKonflikte gezählt, mit gerade 67 in den ersten vier Monaten ist die Situation in diesem Jahr noch vergleichsweise entspannt. Doch während im vergangenen Jahr der Streik in der Hyundai-Werft immerhin vier Monate andauerte, bevor die Regierung gewaltsam einschritt, gewährte man den Streikenden in diesem Frühjahr nicht einmal drei Tage Arbeitsausstand. Dies macht deutlich, wie sehr die Regierung bemüht ist, eine Ausbreitung des Arbeitskampfes zu unterbinden.

Die Gründe der gegenwärtigen Ausschreitungen liegen aber bei den repressiven Maßnahmen der Regierung gegen Gewerkschafter. Seit Präsident Roh Tae Woo Ende letzten Jahres Streiks für illegal erklärte, wanderten Hunderte Gewerkschafter und Organisatoren hinter Gitter. Menschenrechtsgruppen in Südkorea zufolge wurden allein in den ersten vier Monaten diesen Jahres über 400 Arbeiter festgenommen. Darunter waren auch zwei prominente Repräsentanten der neugegründeten Gewerkschaftsföderation. Im letzten Jahr war es die Lehrergewerkschaft, die verboten wurde, in diesem Jahr ist es der neugegründete Nationalrat der Gewerkschaften Chonnohyop der das Monopol der staatlichen Gewerkschaften in Frage stellte. Stein des Anstoßes für die jetzige Streikwelle war nicht zuletzt die fortgesetzte Inhaftierung des Vorsitzenden der Gewerkschaftsföderation, Dan Byong Ho, und des führenden Gewerkschaftmitglieds Lee Young Hyun, der letztes Jahr den Hyundai-Werftstreik anführte. Als das Gericht Lee zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilte, gingen die meisten der Hyundai-Arbeiter in den Ausstand mit dem Ergebnis, daß ihr Vorsitzender verhaftet wurde und etliche Organisatoren polizeilich verfolgt werden. Die Arbeiter fühlten sich von ihrem Management verraten, das noch kurz zuvor versichert hatte, die Anklagen fallenzulassen.

Für den 9. Mai ist mit einem angekündigten Generalstreik vorerst der Höhepunkt der Kampagne zu erwarten. Das Datum fällt mit der Vereidigung der neu formierten Regierungspartei der Demokratische Liberalen Partei (DLP) in der Nationalversammlung zusammen.

Die Zukunft der gegenwärtigen Regierung steht auf dem Spiel. Da sie nicht imstande ist, die Inflation in den Griff zu bekommen, erfreut sie sich nicht gerade großer Popularität. Die kommenden Tage dürften allerdings zu einer Testphase für die fragile koreanische Demokratie werden.

Sollten sich die Unruhen ausbreiten, stehen die Chancen für eine Regierungsbildung unter dem früheren Oppositionspolitiker Kim Young Sam, der nun mit Präsident Roh in der „großen konservativen Koalition“ zusammengeht, ziemlich schlecht. Wahrscheinlicher ist die Verkündung des Kriegsrechts oder gar ein Militärputsch.

Larry Jagan