Ungarns Vaclav Havel

■ Schriftsteller und Dissident A'rpa'd Gönz wird Staatspräsident

Im Depot der einstigen ungarischen Stasi (A'VH) sucht man zur Zeit angestrengt nach einer Schreibmaschine ostdeutscher Fabrikation - Marke ERIKA, Nr. 571622/S. Sie wurde am 2. 8. 1958 von A'rpa'd Gönz konfiziert, der letzte Woche zum Provisorischen Präsidenten der Republik Ungarn gewählt wurde. Verurteilt wurde der damals 36-jährigen Schriftsteller und Politiker wegen Führung einer Organisation, die auf den Sturz der „volksdemokratischen Staatsordnung ausgerichtet war„; hinzu kam noch die „Untreue gegenüber dem Staat“, weshalb Gönz zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde.

Nach der Niederschlagung der Revolution von 56 war er an einer Expertise beteiligt, die der indische Präsident Nehru bei den Aufständischen in Auftrag gab, um sie der sowjetischen Führung zu unterbreiten. “ Wir haben die Ziele des Aufstands knapp und bündig zusammengefaßt, und den Russen einen realen Ausweg, einen akzeptierbaren Kompromiß vorgeschlagen.“ Nicht einmal die Amnestie des Jahres 1963 nützte ihm - Gönz wurde später als die übrigen Festgenommenen durch persönliche Begnadigung frei.

„Während der Untersuchungshaft habe ich tüchtig Englisch gelernt“ - zuallererst übersetzte er die Forsythe Saga ins Ungarische, dann Goldings Roman „Der Turm“. Im Herbst das vergangenen Jahres erhielt er den Wheatland-Preis, den man den angelsächischen Nobelpreis für Übersetzungen nennen darf. „Wenn es um meine eigene Schriften ging, mußte ich warten, der erste Band meiner Dramen wird erst jetzt herauskommen.“ Trotz des langen Veröffentlichungsverbots erhielt er im vergangenen Jahre im Schriftstellerverband die meisten Stimmen (neben dem Europäer György Konra'd und dem ungarischen Patrioten Sa'ndor Csoo'ri) und wurde sein Vorsitzender.

Gönz ist Gründungsmitglied der heute stärksten Oppositionspartei, des Verbands Freier Demokraten (SzDSz). „In meinem Leben habe ich es schon zweimal erlebt, wie sich grausige Ideen der Vergangenheit und die politische Intoleranz wiederbelebt haben. Einzig dieökonomische und geistige Freiheit bilden einen Schutz - man darf sie getrost auch Liberalismus nennen. Da ich auch Sympathie für die Unterdrückten und Verfolgten habe, trete ich eben für jene sozialliberale Strömung ein, für die die Freien Demokraten stehen.“ Gönz ist ein stiller, doch äußerst ausdauernder und zielbewußter Mann. Er betrachtet es als eine Warnung, wie die „Leidenschaften“ im Zuge des ungarischen Wahlkampfes losgelassen wurden. „Ich stelle mir die Politik anders vor“, sagt er, „eben deshalb ist es mir unmöglich, nur ein mit Repräsentation beauftragter Kopfnicker zu sein.“ Daß die meisten Magyaren seine Person wie sein Programm akzeptieren, geht aus der Erklärung der zwei größten Parteien Ungarns hervor: sie wollen Gönz vom provisorischen zum richtigen Präsidenten der Republik machen und ihn für die Präsidentschaftswahlen aufstellen. Wie es scheint, hat auch Ungarn seinen Havel gefunden - und wir werden uns daran gewöhnen müssen, daß in Ostmitteleuropa die Schriftsteller die besten Politiker sind. Genauer: die guten Schriftsteller...

Tibor F'eny