Schwule Reise nach Auschwitz

■ 20köpfige Gruppe reiste in polnische Gedenkstätte / Dokumentation des Rat und Tat Zentrums

„Vier Millionen Tote, die meisten davon Juden - ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Auch hier nicht. Ich habe gedacht, ich fahre hier hin zuerst als Angehöriger einer der damaligen Opfergruppen. Aber ich bin auch Deutscher, gehöre auch dem Volk der (ehemaligen) Täter an. Wie soll ich diese Schizophrenie aushalten?“. Ein Mitglied der Gruppe Bremer und Hamburger Schwuler, die Auschwitz besuchten, beschreibt sein Gefühl nach dem ersten Tag in dem ehemaligen KZ nachzulesen jetzt in einer Broschüre des Bremer „Rat und Tat Zentrums“. Einen anderen Teilnehmer, den 77jährigen Karl, der sechs Jahre in KZ's überlebt hat (die längste Zeit davon war er in Auschwitz), brachte die erneute Konfrontation mit dieser Stätte seines Leides so weit, daß er die Reise vorzeitig abbrechen mußte. Zu schwer wog die Erinnerung daran, daß die Nazis hier die große Liebe seines Lebens umge

bracht haben.

Die anderen 19 Schwulen blieben im Sommer vergangenen Jahres die geplanten zwei Wochen in Polen, aber auch an ihnen ging die Konfrontation mit der Vergangenheit nicht spurlos vorbei. Bis heute hat es für die homosexuellen Opfer der Nazi-Diktatur auf Bundesebene keine Entschädigung gegeben; nur aus Mitteln der „Bremer Regelung“ konnte Karl über 40 Jahre danach 5.000 Mark erhalten. Trotz der geringen Summe ist diese Entschädigung das erste Eingeständnis des staatlichen Unrechtsbewußtseins überhaupt. Denn die Diskriminierung Homosexueller hat auch im Nachkriegsdeutschland nicht aufgehört, „homosexuelle Handlungen“ waren nach 1945 weiterhin strafbar nach §175 StGB (die homosexuellen Häftlinge wurden in den KZ's mit rosa Winkeln gekennzeichnet, außerdem wurde in den Akten vermerkt: „§175“). Noch in den 50er Jahren wurde

Karl wegen seiner Homose xualität zur Kripo zitiert und ermahnt.

Wer im KZ einen rosa Winkel auf der Jacke tragen mußte, gehörte damit im Lager zu der am meisten verachteten Gruppe, wurde noch schlimmeren Arbeitsbedingungen ausgesetzt als die übrigen Häftlinge und war „bevorzugtes Objekt“ für Schikanen und Repressionen der SS-Wachmannschaften. Wer mit dem rosa Winkel versehen war, der überlebte normalerweise nicht lange im KZ: meist nur einige Monate, manchmal sogar nur wenige Tage.

Als sich die Mitglieder der Gruppe daranmachten, Einzelheiten über die schwulen Häftlinge in Auschwitz in Erfahrung zu bringen, betraten sie Neuland: Von dem staatlichen Museum Auschwitz war dieser Bereich noch nicht bearbeitet worden, da es sich um eine „kleine Gruppe“ gehandelt habe und es mangels

Kapazität noch nicht möglich gewesen sei, sich ihr zu widmen. Es gelang aber immerhin, aus den verbliebenen Akten (die meisten haben die Nazis vor Räumung des Lagers vernichtet) das Schicksal von 49 Häftlingen zu erhellen. Empörung erntete eine polnische Auschwitz-Publikation von 1988, in der die homosexuellen Häftlinge ein einziges Mal erwähnt werden, und an dieser Stelle noch in direkter Verbindung mit der Häftlingsgruppe der „Berufsverbrecher“.

Tagsüber arbeitete die Gruppe im Archiv, bei der Erhaltung der Gedenkstätte oder führte Besichtigungen durch. Die Eindrücke und Erfahrungen dieser Reise wurden in einer Broschüre zusammengefaßt, die unter dem Titel: „Schwule in Auschwitz - Dokumentation einer Reise„ erhältlich ist über: Rat und Tat Zentrum für Homosexuelle, Theodor-Körner -Str. 1, 2800 Bremen (Kosten incl. Porto: 7 Mark).

mh