Rostock: Große Koalition mit SPD-Bürgermeister

■ Kommunalwahl in der Partnerstadt: SPD wird stärkste Partei, Bündnis 90 gewinnt 10 Prozent und verliert Oberbürgermeister

Die BürgerInnen gehen wie bei der Volkskammerwahl am 18. März zu den Urnen und Wahlkabinen aus der Partnerstadt Bremen, obwohl sie keine Lust haben. Im März batzten die Plakat-Truppen der kämpfenden Parteien mit Vorliebe Tisch und Wände guerillamäßig genau da zu, wo gerade der Feind seine Klebemarken verteilt hatte. Am 6. Mai künden nur noch die nichtabspachtelbaren Papierreste von den vergangenen Klebeorgien, neu an die dazu anzumietenden Plakatwände wurde wenig geklebt. Daß z. B. das Neue Forum mit einem Spitzenkandidat, Christoph Kleemann, aufwartet, der zugleich ein so kurz wie weise amtierender Anti-SED-Stasi-Filz -Oberbürgermeister ist, erfährt, wer es nicht weiß, nicht. Kein Plakat des Bündnis 90/Neues Forum wirbt mit seinem Namen oder gar seinem Bild. Plakatiert ist allenfalls eine altfränkisch anmutende Radlergruppe, von der zu vermuten steht, daß sie irgendetwas mit dem Neuen Forum zu tun und den OB mittenmang hat, den mit dem

Bart links.

Wahlkampf fand, wenn überhaupt, dezentral statt, in den Plattenbauprärien von Lütten Klein

bis Lichtenhagen. Es ging immer wieder um Wohungsnot - nach dem Ende der SED-Privilegienwirtschaft soll das Wohungselend

jetzt und sofort für jeden einzelnen aufhören; es ging um Müll, neuerdings durch West-Bierdosen angereichert; es ging um Ver

kehr, d. h. auch die Angst vor den schnell startenden West -Karossen, die schon jetzt für eine Verdoppelung der Unfallzahlen gesorgt haben.

Meine Umfragen vor den Wahllokalen (Was wählen Sie?) ergeben mir inzwischen bekannte, dennoch immer noch verwunderliche Wahlverwandtschaften: „CDU oder PDS wähle ich“ sagt ein junger Mann; sein Kumpel hat, auf dem Lande, PDS gewählt, weil er die Leute kennt, das sind Idealisten. Und was die SED auf dem Kerbholz hatte, war vor den großen Enthüllungen ja unbekannt. Die plietsche Direktionssekretärin hat CDU gewählt, „eben wie das typische ehemalige SED-Mitglied“. D. h. genauer gesagt hat sie DSU gewählt, weil sie nicht christlich aufgewachsen ist.

Die Angst vor dem Weiterleben der PDS nach dem Tode geht immer noch um. Bei der Volkskammerwahl war sie in der Stadt Rostock, dem Sitz der Bezirks- und Stasibürokratie, stärkste Partei. Die SED-Erbin hatte den aktivsten Wahlkampf gemacht, Modrow-Auftritt mit Sängerin Barbara Thalheim Donnerstag vor der Wahl, alleingehender Bruch des Abkommens aller Parteien, den 1. Mai nicht zum Wahlkampf zu benutzen, ständige Präsenz auf dem Uniplatz neben dem Lastwagen, von dem Beate Uhse ihre Kataloge für 5 Mark verkaufen läßt.

Dennoch. In Rostock wird die SPD (mit 28 Prozent) als stärkste Partei 37 der 130 Sitze in der Stadtverordnetenversammlung besetzen. Im Heim der Chemiearbeiter, Flachbau 1. Stock, verdauen die unteren Genossen von der PDS ihre immerhin noch 23 Prozent bei diesen unsäglich flotten marschfoxschiebenden Tänzchen, die nur noch auf dem Biotop der DDR gedeihen. Einen Stock tiefer, entdecken die SPD-Mitglieder an den weißgedeckten Ti

schen allmählich in der heftig schneienden Glotze, daß sie nicht nur in Leipzig gewonnen haben, Beifall!, sondern auch in Rostock, dichtauf gefolgt von PDS und CDU mit jeweils 23 Prozent.

Die SPD wird versuchen, ihren Kandidaten Dr. Klaus Killimann zum Oberbürgermeister zu machen. Nachteil: Kaum eine/r kennt den 51jährigen Physiker ohne Verwaltlungserfahrung, den die Partei erst vor einer Woche nachgeschoben hat, nachdem der vorhergehende Kandidat schon vor der Wahl verbraucht war. Zur Einigung auf einen gemeinsamen Kandidaten Christoph Kleemann vom Neuen Forum war die SPD nicht bereit, da halfen alle Kommentare der Chefredakteurin der SPD-lizensierten „Mecklenburgischen Volkszeitung“ nichts. Der OB-Sessel soll an die Partei gehen, nicht an einen, der sich, da gibt es kaum Gegenstimmen, in seiner kurzen schwierigen Amtszeit dafür qualifiziert hat.

Der Amtierende feiert unterdes bei Lagerfeuer und Schmalzbrot mit den „Bündnis 90„-Treuen hinter der baumbesäumten Johanniskirche die errungenen 10 Prozent (13 Sitze). Das ist in Rostock 7 % mehr als im Landesdurchschnitt, aber genauso viel wie in Schwerin und Leipzig. Kleemann würde gerne weiter bürgermeistern, mit einer großen Koalition von CDU bis Bündnis, aber die SPD wird seinen überparteilichen Eros nicht teilen, wenn auch möglicherweise die Vorliebe für die Große Koalition. Das wird man nach 20 Tagen, die Kleemann noch amtiert, genauer wissen. Klar ist nur: Die SED-Ära - da kann auch Gregor Gysi -Superaal mit all seinen „Bild“ mitgeteilten Phantasien ewiger staatlicher Potenz nichts ändern - sie ist auch in ihrer Bezirksmetropole Rostock endgültig vorbei.

Uta Stolle