„Der Zersplitterung entgegenwirken“

■ Interview mit der Fraktionsvorsitzenden der AL, Renate Künast, zum Ausgang der Kommunalwahlen in Ost-Berlin

taz: Haben Sie gefeiert?

Künast: Wir haben uns zwar gefreut, daß im Ergebnis das Bündnis 90 und die Grünen ein ganz passables Ergebnis in Ost -Berlin noch hingekriegt haben. Das ist für uns, für die AL Berlin, natürlich ein entscheidender Ansatzpunkt. Aber es besteht dennoch kein Grund zum Feiern, weil es sich zeigt, daß es eine große Koalition geben könnte.

Wird ihnen „König Momper“ nun nicht zu mächtig?

Der Ansatzpunkt ist jetzt für uns nicht „König Momper wird zu mächtig“ - es geht ja jetzt um die SPD überhaupt. Der Ansatzpunkt ist für uns jetzt, daß man in Ost-Berlin nun feststellen kann, es gibt eine große gesellschaftliche Mehrheit, wenn man alle linken Kräfte dort einbezieht, die sich ganz ausdrücklich gegen die Art und Weise dieses Vereinigungsprozesses zwischen beiden deutschen Staaten ausgesprochen haben. Das war für uns durchaus ein Anlaß zur Freude. Aber die Frage ist jetzt: Was wird dabei herauskommen? Eine große Koalition auch unter Beteiligung von Grünen und Bündnis 90 halten wir für eine sehr, sehr schwierige Konstellation. Das wäre eine Konstruktion, die nicht die gesellschaftliche Mehrheit zum Ausdruck bringt. Wie sollen sich die Gruppen auf der Basis einer Mehrheit gegen die Art und Weise des Vereinigungssprozesses nun in einer Koalition mit der CDU finden, ohne ihre Position gegen deren Anschlußpolitik aufzugeben?

Hat denn die AL überhaupt noch eine Chance, sich nun bei Großentscheidungen einzubringen?

Wenn die SPD in Ost-Berlin ein Bündnis mit der CDU eingeht, werden in West-Berlin die Chancen und Möglichkeiten der AL, sich durchzusetzen, immer schwieriger werden. Wobei ich andererseits auch sehe, daß die SPD sich keinen Gefallen tun würde, Politik mit der CDU alleine abzustimmen, weil sie dann wirklich gegen große Teile der Bevölkerung regieren würde. Und sie muß ja auch sehen, daß, wenn es um eine zukünftige Verfassung für Ost-Berlin geht, sie ja wieder eine Zweidrittelmehrheit braucht. Die wird sie nicht alleine mit der CDU finden.

PDS-Chef Gysi sprach am Wahlabend von einer deutschen linken Partei links von der SPD. Chance oder Bedrohung für die AL?

Die Zukunftsaussichten der PDS muß man wirklich mit Distanz oder kritischem Interesse betrachten. Es wird da sehr viel davon abhängen, wie die PDS mit ihrer eigenen Geschichte umgeht.

Flirten Sie mit denen schon?

Ich flirte nicht mit der PDS. Es gibt an einigen Sachpunkten Gemeinsamkeiten. Genauso wie es die Friedensbewegung in West-Berlin ja jahrelang praktiziert hat, auch mit der SEW gemeinsam an Sachfragen zusammenzuarbeiten.

So ein PDS-Tabu wie die SPD kennen Sie nicht?

Dieses Tabu der SPD, die unter dem alten Regime mit der SED intensive persönliche Kontakte pflegte und nun meint, mit denen nicht einmal mehr Worte wechseln zu können - dieses Tabu haben wir nicht.

Sie stehen jetzt also nicht in den Startlöchern, eine neue linke Partei zu gründen?

Dazu ist es meines Erachtens viel zu früh. Die Frage ist, wie entwickelt sich die PDS weiter. Da liegt nicht unser Ansatz. Wichtig ist, was ist gemeinsam möglich zwischen Alternativen, Grünen, Neuem Forum, Unabhängigen Frauen und Vereinigter Linker?

Sie sind dafür, daß sich da die Sammelbecken-Geschichte der bundesrepublikanischen Grünen wiederholt?

Wie immer diese Partei dann auch heißen würde, halte ich es für politisch notwendig, der Zersplitterung entgegenzuwirken. Ich glaube, daß eine Gruppierung, die sich auf Gesamtberliner Ebene im Bereich von zehn Prozent bewegt, gewisse Durchsetzungsfähigkeiten hat.

Gibt's da schon Vorbereitungen?

Es gibt bei uns ein massives Gesprächsinteresse.

Das AL-Profil der Zukunft...?

...wird in ganz starkem Maße davon abhängen, wie Zusammenarbeit und Kontakte mit den Gruppen in Ost-Berlin laufen werden. Ich sehe durchaus die Möglichkeit, daß wir das weiterhin verbinden - Ökologie und Radikaldemokratie.

Interview: Thomas Kuppinger