UNTERHALTUNGSFÜHRER

■ Das Fernsehkoproduktionsspektakel „Guten Abend Deutschland“ im Friedrichstadtpalast

„Gipfelkonferenz der Unterhaltungsmoderatoren aus Ost und West“ war „die große Fernsehgala“ überschrieben, die am Wochenende die Kommunalwahlen überschattete und übertönte. Nicht nur ein-, sondern gleich dreimal: am späten Sonnabend und am Sonntag nachmittag als „öffentliche Voraufzeichnung“ und am Sonntagabend dann wirklich live: Showdown oder die „Aufzeichnung“ - so stand es zumindest unter den Plakaten.

Je drei bekannte Unterhaltungsmoderatoren aus BRD und DDR sollten in einer Sendung ihre Show vorstellen. Für repräsentativ gehalten und eingeladen wurden: aus der BRD Thomas Gottschalk (Wetten, daß), Dieter Thomas Heck (Die Pyramide), Wim Thoelke (Der große Preis); aus der DDR: Hans-Joachim Wolfram (Wenn schon, denn schon), Helga Hahnemann (Ein Teller Buntes) und Gunther Emmerlich (Schowkolade).

Sonntag nachmittag gegen viertel nach zwei kam Thomas Gottschalk, Tommi, wie sie ihn nennen, vorbei. In einer Nebenstraße halten ihm viele Fans, Frauen vor allem, 'Neue Revuen‘, Tagebücher und Bierdeckel vor die Nase, auf denen er, offensichtlich angewidert, ein kaum lesbares Gekrakel, die Spuren seines Namens, als verachtende Karikatur hinterläßt. Dann wird er weggezerrt vom Bodyguard / Manager / Aufnahmeleiter.

Im Innern des Friedrichstadtpalastes war rauchend die Kleinfamilie versammelt, schwacher Kontrast zu dem bemüht glänzenden Fleisch auf den Photos in den Schaukästen. Einen Hauch von Trostlosigkeit spendeten die heimeligen Mosaiksteinchen des größten Revuetheaters Europas, die am ehesten noch an die ausweglose Traurigkeit evangelischer Vorstadtkirchen erinnerten. Im mauvefarbenen Saal künden derweil hunderttausend Scheinwerfer und eine Technik, die ihresgleichen sucht, von Weltniveau.

Gottschalk ist der Star des Abends. Seine Aufgabe ist es, das Publikum als eine Schar von Idioten zu behandeln. „Das hat aber lange gedauert“, beschwert er sich, wenn sie nicht auf Kommando klatschen, und verteilt Almosen an seine Moderatorenkollegen: „Ihr klatscht bei allen richtig!?“ Sein Duzen ist immer Herrschaftsgeste.

Das vielbeinige Ballett - Conferencier Elstner attestiert ihm freundlich internationales Niveau, man bräuchte sich seiner nicht zu schämen - verspricht militärische Weiten der Erotik, deren Enge Helga Hahnemann später knapp streift: „Papa im Sexshop und Mama im KaDeWe.“

Die technischen Möglichkeiten des Friedrichstadtpalastes zu demonstrieren, kommt Hans-Joachim Wolfram auf die Bühne geflogen. In seiner Sendung versucht er, „so etwas wie journalistische Unterhaltung“ zu machen. Bei der Generalprobe am Nachmittag brachte er noch einen quäkenden Herrn, der es sich zum Hobby gemacht hat, die Verlaufsformen aller Berliner Straßen auswendig zu lernen. Nur die westlichen Randbezirke kann er nicht. Dies streberhaft geschnarrte Taxiwissen kann jedoch den Westzuschauer nicht begeistern. So reicht es nur zum Trostpreis - zu einer Gesamtberliner „Umweltkarte“ - die ihm recht wenig nutzt, denn als Bahnangestellter hat er ohnehin freie Fahrt. Am Abend fehlt er. Live wird er von einer achtzigjährigen Harfenistin ersetzt, die in irgendeinem Film der dreißiger Jahren mitgemacht hat, den sie selber aber nie gesehen hat. Der Überraschungsgag: „Wir haben was für Sie - Film ab.“ Zehn Sekunden Standbild mit Dame. Eigentlich waren 30 Sekunden geplant, doch die alte Dame hörte ja nicht auf, aus ihrem Leben zu erzählen. „Wir haben Millionen Zuschauer“ mahnte der Moderator, „und wenig Zeit.“ Dann wird sie gezwungen, ihr Harfenabschiedskonzert zu geben - „das wird ja wieder zehn Minuten dauern, bis die endlich fertig ist“, beschwert sich der Moderator. „Eine Minute Sendezeit ist drin.“ Sie spielte 20 Sekunden - Schönes Abschiedskonzert - und bekam dafür eine Einladung zum „Weltkongreß in Paris“.

Im Playback seierte zwischendurch Barclay James Harvest herum; zum johlenden 9. November auf der Videoleinwand, auf der sich der Zuschauer seine Livebestätigung holen kann.

Wum ruft nach Wim: „Thoelke!“ Und Wim sieht gar nicht gut aus; gealtert, kaputt, das freundlich-menschliche Zombietum heraushängen lassend, breitet er die Arme aus, eher hilfesuchend: Ein Sorgenkind ist alt geworden. Carolin Reiber und Carmen Nebel sind seine Kandidatinnen, sagen sich, wie die Klassenoberstreber, die Antworten der Fragen nach der letzten ge samtdeutschen Olympiamannschaft - Tokio 1964 - vor. Mitglieder eben jener Mannschaft erscheinen - am Nachmittag wurden sie noch recht lieblos von Bühnenmitarbeitern gedoubelt, am Abend sind sie echt. Eine kräftige Mitfünzigerin erscheint in einem irgendwie unmöglich geblümten Hausfrauenkostüm und gibt sich als Helga Hahnemann zu erkennen. Wie die anderen DDR-Moderatoren verkörpert sie noch die humanistische Tradition der Fernsehunterhaltung Pendant wäre Kulenkampf - und singt Berliner Lieder. Warm wird einem ums Herz. Streng wird sie verwarnt, als sie auf Frank Elstners Ankündigung, sie sei so etwas wie der weibliche Harald Juhnke, antwortet, sie hätte nicht dessen Probleme. Denn „diese Probleme“, so Elstner, hat „mein Freund Harald schon lange nicht mehr“.

In der Pyramide des ein wenig kaputtgealterten Dieter Thomas Heck geht es darum, Begriffe zu erraten. Am Nachmittag war das Quelle höchster Freude: Barbara Wussow, Wolfgang Lippert und noch zwei andere rieten so daher: einem DDR-Protagonisten fiel als Synonym für Koalition nur „Komplott“ ein, und die Nato wurde zum Gegenteil der UNO erklärt. Am Abend, also live im Fernsehen, durfte so etwas nicht noch einmal geschehen.

Den eigentlichen Rahmen der Show jedoch lieferte Thomas Gottschalk, der - wetten, daß... - auf einer Bühne am Alexanderplatz versuchte, ein Orchester zusammenzukriegen, das mit ihm als Papageno die Schlußarie der Zauberflöte spielen sollte. Viele Tausend Menschen standen da und sangen mit: „Der Vogelfänger bin ich ja / Stets lustig heißa, hoppsassa.“ Agressiv krähen ein paar junge Männer „Tommi“. Der weist souverän einen Betrunkenen ab, der ihm freundlich ein Bier bringen wollte. Wenn jemand im Publikum spricht, gibt es wütende Zurechtweisungen von den Nebenleuten. „Wir müssen jetzt das Maul halten“, meint ein Passant. Keinen Pfennig kriegt er vom ZDF, ist aber stolz darauf, dabei zu sein: „Nur so, aus Action.“

Detlef Kuhlbrodt