Die Postler streiken gegen den Zeitklau

Bei der Post stehen die Zeichen auf Sturm / Arbeitgeber benutzten Arbeitszeitverkürzung zum Abbau von Erholzeiten  ■  Von Martin Kempe

Berlin (taz) - Weil sie sich einen offenkundigen Zeitklau durch die Bundespost nicht gefallen lassen wollen, haben Beschäftigte der Post mit Unterstützung ihrer Gewerkschaft für heute abend Warnstreiks in den Postämtern angekündigt. Schon in den letzten Tagen hatte es vereinzelte Streikaktionen in den Einrichtungen des Postverteildienstes gegeben - mit der Folge, daß Briefe und Zeitungen zum Teil mit Verspätung ausgeliefert wurden. Durch die jetzt anberaumten Aktionen soll auf die gleichzeitig stattfindenden Verhandlungen zwischen Postgewerkschaft und Postarbeitgebern Druck ausgeübt werden.

Der Arbeitskonflikt bei der Post hat eine Vorgeschichte. Denn die Forderung der PostlerInnen, 10 Minuten Erholzeit pro Stunde, ist nicht neu. Sie gehört seit fast zwanzig Jahren zum sozialen Standard in den besonders stressigen Bereichen des Postbetriebsdienstes, der immer noch weitgehend manuell ausgeführten Briefverteilung, dem Fernmeldedienst usw. In einem „Personalbemessungsabkommen“ hatten Bundespost und Gewerkschaft schon 1971 vereinbart, während eines achtstündigen Arbeitstags insgesamt 62 Minuten Zeitzuschläge für Erholung und persönliche Verfügungszeiten einzuräumen. Als dann am 1.4.1989 die Wochenarbeitszeit auch bei der Post von 40 auf 39 Stunden gesenkt wurde, sah Postminister Schwarz-Schilling die Gelegenheit, von dieser Regelung wieder abzurücken: Pro Tag wurden 15 Minuten Erholungszeit gestrichen und damit die eine Stunde Wochenarbeitszeit mehr als kompensiert.

Als die Gewerkschaft daraufhin Verhandlungen über einen Tarifvertrag zur Sicherung der Erholzeiten und einem Personalausgleich bei der Arbeitszeitverkürzung verlangte, wurde sie von Schwarz-Schilling mit dem Hinweis auf die bevorstehende Umstrukturierung der Bundespost in drei selbständige Gesellschaften hingehalten. Erst Anfang des Jahres waren Vorstände der neuen Gesellschaften schließlich handlungsfähig, aber keineswegs gewillt, auf die Forderungen der Gewerkschaft einzugehen. Erst ein Ultimatum der Gewerkschaft sorgte wenigstens für Verhandlungs-, wenn auch nicht Kompromißbereitschaft der Arbeitgeber.

Daß die Erholzeiten notwendig sind, ergibt sich für die Gewerkschaft aus den besonderen Belastungen in vielen Bereichen, denen auch mit Rationalisierungsmaßnahmen nicht beizukommen ist. So sei der Krankenstand im Betriebsdienst der Post oft höher (Berlin z.B. 11 Prozent) als bei industrieller Fließbandarbeit (durchschnittlich etwa 8 Prozent). Und zwei Drittel aller Beschäftigten müssen aus Gesundheitsgründen vor Erreichen der Altersgrenze ausscheiden.