piwik no script img

Ein tausendfaches Zeichen des Zorns

■ Große Ballon-Protestaktion gegen Tiefflug im Allgäu / Pfarrer vertauschen die Kanzel mit Protest auf der grünen Wiese / Bonn stellt sich dumm und spricht von „Flugkörpern“ / Auch über dem Himmel von Schloß Neuschwanstein flogen die Ballons

6BRDDIENSTAG, 8/5/90 Aus dem Allgäu Klaus Wittmann

Hunderte von großen gasgefüllten Ballons schweben über dem Allgäuer Trauchgau bei Füssen. So wie hier sieht es in rund 50 anderen Ortschaften ebenfalls aus. Die Ballons sind ein Zeichen des Protestes gegen den Tiefflugterror, sagen die Bürger, die diese Aktion durchführen.

Rechtzeitig zum 12-Uhr-Läuten donnern zum xten Mal an diesem Tag demonstrativ Militärjets über die Häuser und Ballons hinweg. „Das ist eine sinnlose und gefährliche Provokation“, schimpft der 50jährige katholische Geistliche Peter Mayr, der neben weiteren 60 Pfarrern diese Aktion voll unterstützt. Über dem Eingangsportal der Kirche hängt ein großes Transparent „Stoppt den Tiefflug“ Pfarrgemeinderäte, Bauern und Bürger stehem am Marktplatz und signalisieren, daß es ihnen jetzt endgültig reicht und sie sich gegen den Tieffluglärm zur Wehr setzen werden.

Insgesamt 6.000 Bürger im Allgäu und in Oberbayern beteiligen sich an der Ballon-Aktion. Rund 2.000 große und 4.000 kleine Ballons hängen im weißblauen Himmel. Auch vor König Ludwigs Märchenschloß Neuschwanstein signalisiert ein knallig oranger Ballon: Schluß mit dem Tiefflugterror.

Das Luftamt Südbayern wollte im Vorfeld der Aktion mit allen Mitteln versuchen, daß diese unangemeldete Demonstration verhindert wird. Die Ballons mit einem Durchmesser von bis zu 1,2 Metern seien Fesselballons und damit Luftfahrzeuge, wurden die Pfarrer und vermeintlichen Verantwortlichen gewarnt. Denen forderte diese Definition allerdings nur ein Lächeln ab.

„Sowenig wie ein Traktor ein Ferrari ist, sowenig wie ein Mofa ein Rennmotorrad ist, sowenig ist ein Luftballon ein Fesselballon“, empört sich Pfarrer Mayr, und sein evangelischer Kollege Horst Drohsihn ließ sich auch von einer schriftlichen Mahnung des Luftamtes nicht davon abbringen, die Aktion zu unterstützen. „Man steigt von der Kanzel runter, krempelt die Hemdsärmel rauf und zeigt, wo's langgeht“, sagte er am Morgen der Ballonaktion.

Als Pfarrer Mayr gestern früh - die Ballons waren seit einer Stunde aufgestiegen - zufrieden hochblickte, meinte er zuversichtlich: „Ich glaube schon, daß sich im Bewußtseinsprozeß was rührt und die Politiker umdenken müssen.“ Es dauerte nicht lange, da machte eine Presseerklärung des bayerischen Ministerpräsidenten die Runde. Der hatte sich kurzentschossen an den Bundesverteidigungsminister gewandt und eine drastische Verringerung der Tiefflüge gefordert. Die freilich ist den Pfarren und Bürgern längst nicht mehr genug. „Es muß endlich Schluß sein mit diesem Wahnsinn - und Schluß heißt, Tiefflüge müssen sofort ganz gestrichen werden“, sagt Horst Drosihn.

Um die aufsehenerregende Ballonaktion nicht wirkungslos verpuffen zu lassen, wurde inzwischen ein Klageentwurf an das Bayerische Verwaltungsgericht ausgearbeitet. Verklagt wird die Bundesrepublik Deutschland auf „Unterlassung von Tiefflügen“. Unter anderem wird die Klage, die von zahlreichen Bürgern eingereicht werden soll, mit der erheblichen Gesundheitsgefährdung der Kinder begründet. Eine Reihe von Rechtsanwälten haben inzwischen die juristische Patenschaft für die Protestaktion übernommen.

Die Polizei ist am Montag nicht eingeschritten, hat aber versucht, die Zahl der Ballons zu ermitteln und die Verantwortlichen. Ein Polizeihubschrauber beobachtete die Aktion aus der Luft. Doch mit der Feststellung der so sehr gesuchten Verantwortlichen tun sich die Beamten schwer. „Jeder ist für seinen Ballon und für sein Handeln selbst verantwortlich - es ist eine Aktion der Bürger, denn wir haben uns endlich auch darauf besonnen: Wir sind das Volk“, sagt der katholische Pfarrer Peter Mayr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen