Europäer zweierlei Maß

Visafreiheit für DDR-BürgerInnen von EG-Außenminister beschlossen / Beschränkungen für Osteuropäer bleiben aber bestehen / Angst der Europäer vor polnischen Schwarzarbeitern  ■  Von Michael Bullard

Brüssel (taz) - Reisewütige DDRler können frohlocken voraussichtlich schon im Juni werden sie visafrei durch die EG gondeln können. Die EG-Außenminister waren sich bei ihrem Montagstreffen in Brüssel einig, daß sie die lästigen Visa -Bestimmungen für DDR-BürgerInnen mit DDR-Paß rechtzeitig zum Sommerferienbeginn aufheben wollen. Von dem Genuß der neuen Freizügigkeit ausgeschlossen bleiben vorerst die TouristInnen der anderen mittelosteuropäischen Staaten.

Zwar wird die visafreie Einreise auch für die Tschechen, Slowaken und Ungarn angestrebt, erklärte Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, Schwaetzer, doch konnte dafür noch keine Einigung erzielt werden. Noch schlechter steht es für die Polen. Aus Angst vor ungehindert einreisenden Schwarzarbeitern auf Zeit und illegalen Einwanderern wird die EG auch weiterhin die Visapflicht für Polen beibehalten. Daß die EG-Pförtner in Zukunft Europäer mit zweierlei Maß behandeln, werden auch die Rumänen und Bulgaren zu spüren bekommen. Für sie wird es ebenfalls in absehbarer Zeit keine Aufhebung der Visumpflicht geben.

Zu verdanken haben die Trabi-Touristen das Feriengeschenk dem unermüdlichen DDR-Advokaten Genscher und der überraschenden Übereinkunft der Regierungen Frankreichs, der Bundesrepublik und der Benelux-Länder, das Schengener -Abkommen nach Auskunft von Binnenmarkt-Kommissar Bangemann im Juni zu verabschieden. Aus Angst vor Arbeitssuchenden DDRlern hatten die Benelux-Länder zunächst Widerstand gezeigt.

Außerdem waren die Zuständigkeiten für die Kontrollen an der Grenze zwischen der DDR und Polen ungeklärt. Seitdem aber die Grenze zwischen der BRD und der DDR faktisch nicht mehr besteht, ist die Oder-Neiße-Linie die neue Ostgrenze der EG, die - zumindest vorübergehend bis zur DDR -Integration - entgegen der EG-Gesetze von einem Nicht-EG -Staat kontrolliert wird. Diese Bedenken scheinen jetzt ausgeräumt. Das letzte Hindernis ist auch weggeräumt: Die italienische Regierung wollte nur zustimmen, falls auch Ungarn und Tschechen die selben Vorrechte eingerämt würden. Diese Forderung wurde fallengelassen.

Immerhin kommt die Tschechoslowakei zusammen mit Bulgarien und der DDR in den Genuß von Handels- und Kooperationsabkommen, die gestern und heute unterzeichnet wurden. Die Abkommen wurden nach dem Muster der EG-Verträge mit Polen und Ungarn ausgehandelt.

Der Vertrag mit der DDR wurde im Schnellverfahren abgeschlossen, um die DDR in der Übergangszeit bis zu ihrer Integration in die EG im Rahmen der Vereinigung der beiden deutschen Staaten nicht gegenüber den anderen mittelosteuropäischen Staaten zu benachteiligen. Die Rest-EG wollte damit vor allem verhindern, von dem Geschäft mit der DDR ausgeschlossen zu bleiben.