Ein Wessi wird Leipziger Bürgermeister

Für Hinrich Lehmann-Grube wächst jetzt zusammen, was seiner Meinung nach zusammengehört. Der 57jährige Sozialdemokrat war in den letzten Jahren schier daran verzweifelt, als Oberstadtdirektor von Hannover zwar Chef der kommunalen Verwaltung zu sein, es aber mit einem frei und geheim gewählten Kommunalparlament zu tun zu haben. Und das wollte manchmal anderes, als nach Lehmann-Grubes Ansicht gut war für die niedersächsische Messestadt.

Besonders bockig konnte der Mann werden, wenn die dort regierende SPD aus Mangel an einer absoluten Mehrheit Bündnisse mit der Grün-Alternativen Bürgerliste einging, ja, mit diesem GABL genannten Ableger der Grünen Partei gar Haushaltsvereinbarungen traf. Hinrich Lehmann-Grube favorisierte stets, daraus machte er nie einen Hehl, die große Koalition mit der in Hannover zerstrittenen und desolaten CDU.

Derzeit regieren in der westdeutschen Stadt mal wieder die Roten mit den Grünen, und Lehmann-Grube verzeichnete „abnehmende Lust an meiner Arbeit“. Seine Konsequenz: Er besorgte sich Anfang April zusätzlich die DDR -Staatsbürgerschaft, nahm seinen Jahresurlaub auf einen Schlag und stürzte sich in der hannoverschen Partnerstadt Leipzig als SPD-Spitzenkandidat in den Wahlkampf - mit Erfolg.

Mit 35,13 Prozent, das entspricht 45 Mandaten, erzielte die SPD in der einstigen „Heldenstadt“ ein für den Süden der DDR fulminantes Ergebnis, ließ CDU (34 Mandate), PDS und Bündnis 90 (jeweils 10) sowie die DSU (6 Mandate) weit hinter sich.

Lehmann-Grube steht als Bürgermeister also fest - und damit, dank der alten Kommunalverfassung, auch als Verwaltungschef. Und er kann sich einen alten Traum erfüllen: gemeinsam mit der CDU würde er über eine komfortable Mehrheit verfügen und könnte in dieser großen Koalition die Politik fortsetzen, die seine Arbeit in Hannover geprägt hat.

Das ist in erster Linie die Bildung des Unternehmens Stadt, die Stärkung der Faktoren für den Wirtschaftsstandort. Da ist Lehmann-Grube nichts gewagt genug: So fand die niedersächsische CDU-Ministerin Birgit Breuel bei ihrer umstrittenen Idee, die Weltausstellung im Jahre 2000 ausgerechnet nach Hannover zu holen, in Lehmann-Grube einen feurigen Unterstützer.

Der Umweltschutz wurde unter seiner Ägide eher klein gehalten - das an Kompetenzen arme Umweltdezernat verlor seinen fähigen Kopf Klaus Groth sehr bald an den rot-grünen Senat in Berlin. Unliebsame Einrichtungen wie die eines Frauenreferates nahm Lehmann-Grube lieber unter seine Fittiche und siedelte die Stelle in seinem Amt an.

Wovon Leipzig profitieren dürfte, ist die auch von Lehmann -Grubes Kritikern attestierte Durchsetzungsfähigkeit des äußerlich blaß wirkenden Politikers. Hakt irgendwo etwas, erklärt der BRD-Übersiedler das Problem schnell zur Chefsache - oftmals mit anschließendem Erfolg.

Das bringt Lehmann-Grube Freude. So viel, daß er sein bisheriges Salär von 12.500 Mark (West) zumindest vorübergehend gegen eine Entlohnung von rund 3.000 Mark (Ost) eintauscht.

Axel Kintzinger