Ein Denkzettel der Bauern für die großen Parteien

Als vor Wochen die Bauern mit Treckern und Lastwagen vor dem Palast der Republik auffuhren, hat niemand ihren Protest so recht ernst genommen. Die Abgeordneten, die hinter den braun getönten Scheiben ihre zweite Volkskammersitzung nach dem 18. März abhielten, waren mit den großen politischen Themen beschäftigt. Die lautstarke Aktion der Bauern verhallte ungehört auf dem Marx-Engels-Platz.

Jetzt haben die Bauern der DDR den großen Parteien einen Denkzettel verpaßt. Sie wählten ihre Interessenvertreter und Lobbyisten. Im Landesdurchschnitt sind zwar die Parteien der Bauern letztlich nicht bedeutsam, doch konnten sie in ländlichen Gebieten zum Teil bis über 25 Prozent der Stimmen für sich verbuchen. 3,6 Prozent bekam die Demokratische Bauernpartei (DBD) im Landesdurchschnitt, der Bauernverband 1,9 Prozent. In ländlichen Gebieten lang der Durchschnitt für den DBD bei 10 Prozent. Im Thüringer Wahlkreis Weimar/Land haben beide Bauernparteien zusammen 20,2 Prozent. 22 Prozent sind es im Bezirk Schwerin in Mecklenburg, und gar 25,9 Prozent der Stralsunder Landbevölkerung wählten die bäuerlichen Interessenvertreter.

Die Bauernstimmen sind Proteststimmen, die hauptsächlich der CDU verlorengingen. Rund 14 Prozent büßten die Christdemokraten in den Dörfern ein. Die SPD verlor zwar auf dem Lande auch, allerdings nur knapp 3 Prozent.

Die Vergangenheit der Demokratischen Bauernpartei als Blockpartei hat die Bauern nicht davon abgehalten, sie zu wählen. Auch der kürzlich erst gegründete Bauernverband ist aus einer Massenorganisation der ehemaligen SED entstanden, der „Vereinigung für gegenseitige Bauernhilfe“ (VdgB). Die hatte sich zu einem stark verwurzelten Berufsverband auf dem Land entwickelt und war dem Wunsch der SED, sie solle „Avantgarde der Kollektivierung“ sein, nie völlig nachgekommen. Auch die DBD ist eine SED-Gründung. Allerdings hat sie sich immer offen zur Kollektivierung der Landwirtschaft bekannt.

Als einzige Gruppe haben es die Bauern geschafft, ihre Sorge vor den Folgen der raschen Wiedervereinigung im Wahlergebnis auszudrücken. Vielleicht, weil sie frühzeitig zu spüren bekommen haben, was die Wirtschaftsunion mit offenen Grenzen für sie bedeutet. Seit Öffnung der Grenzen werden West-Waren massenhaft über die Grenze geschafft. Die Verbraucher der DDR genießen Südfrüchte und exotisches Gemüse. Sie kaufen gekräuselten Salat und Kiwis statt Rotkohl und Äpfel. Auf den Marktplätzen aller mittelgroßen Städte stehen Samstag für Samstag die Händler aus dem Westen und bieten Bananen für Westmark.

Der Import von Agrarprodukten von der BRD in die DDR ist im ersten Quartal 1990 gegenüber dem Vorjahresquartal um mehr als 80 Prozent gestiegen. Kommt der Staatsvertrag nach dem Willen der Bundesregierung zum Tragen, fällt die Zollschranke im nächsten Jahr. Die Bauern in der DDR fürchten zu Recht, mit ihren Produkten auf dem heimischen Markt nicht konkurrenzfähig zu sein.

Innenminister Peter-Michael Diestel (DSU) weiß das und hat bereits auf seiner ersten Pressekonferenz ein Fragezeichen hinter die Zollfreiheit gesetzt. „Bestimmte Schutzmaßnahmen“ forderte er für die Bauern, doch bislang wurde dies nie konkretisiert. Heute nun will DDR-Landwirtschaftsminister Pollack seinem West-Kollegen Ignaz Kiechle seine Vorstellungen unterbreiten.

Daß die DDR innerhalb einer Wirtschafts- und Währungsunion eine grüne Grenze wird aufrechterhalten können, ist mehr als unwahrscheinlich. Bestenfalls wird es für die DDR-Bauern Übergangsregelungen geben. Die Bauernparteien, denen die Landwirte und Landarbeiter ihre Stimme gegeben haben, werden daran nichts ändern können.

Bis die „große Lösung“ im Rahmen der EG ausgehandelt ist, bleibt findigen LPGs nur die Eigeninitiative, um sich vor der Pleite zu retten. Einige landwirtschaftliche Betriebe in Thüringen beispielsweise haben sich bereits an westliche Busunternehmen verkauft. Sie bieten Mittagessen für die Kaffeefahrt: Rostbratwürstchen und Sülze aus der eigenen Tierproduktion.

Brigitte Fehrle