Milieuschutz und Sanierung

■ Bürgerinitiative in Dresdens Äußerer Neustadt fördert Genossenschaftsprojekte / Flächendeckende Sprengungen verhindert / Öffentliches Bewußtsein muß für behutsame stadtsanierung sensibilisiert werden

Einer der bisher wichtigsten Erfolge der Interessengemeinschaft Äußere Neustadt in Dresden ist der Ratsbeschluß vom 15. März, der das seit hundert Jahren gewachsene Viertel im Norden der Stadt zum Sanierungsgebiet und Milieuschutzgebiet erklärt. Zwar sahen damals einige der Ratsherren potentielle Investoren in Scharen vor dem Beschluß davonlaufen, doch konnte die Bürgerinitiative damit den Abriß von 70 Prozent der Gründerzeithäuser verhindern und die Alternative einer behutsamen Stadtsanierung wenigstens ins öffentliche Bewußtsein bringen.

Die flächendeckenden Sprengungen waren noch vor der Wende ebenfalls im Rathaus beschlossen worden. Auch die Bürgerinitiative fand sich nicht erst im Aufwind des DDR -Oktober zusammen. Beim 89er Wahlkampf versuchte sie, so gut es ging hinter die Kulissen zu leuchten, und als der Betrug ruchbar wurde, setzte sie gegen Resignation und Emigration die Tat für ihr eigenes Lebensumfeld.

Konzepte, die Bausubstanz und das Milieu der Äußeren Neustadt zu erhalten und die Lebensqualität zu erhöhen, stellte die Interessengemeinschaft am Dienstagabend in der „Scheune“, dem namhaftesten Neustädter Treffpunkt vor. Grundgedanke sei, über Bürgermitbestimmung und Bürgerkontrolle die Kommunen zu stärken. In 25 Häusern äußerten die Mieter bereits Interesse, sich als Genossenschaft zusammenzuschließen. Eine Befragung der IG zeigt, daß etwa jeder dritte Neustädter bereit wäre, Verantwortung in irgendeiner Form für Häuser zu übernehmen.

Das zeigt sich auch in mehreren Hausbesetzungen, aus denen genossenschaftliche Projekte entstehen könnten, Die IG setzt sich für die Legalisierung des Wohnrechts der HausbesetzerInnen ein und bekommt nun auch bis nächste Woche eine Liste gesperrter Häuser vom Rat Nord, die unter den Bedingungen des Beschlusses vom 15. März erneut zu prüfen ist.

Auch das Nordbad, einzige Schwimmhalle weit und breit, kommt nicht mehr unter den Hammer. Allerdings hat die IG bis jetzt nur nebulöse Zusagen des Oberbürgermeisters, es gebe nicht näher zu bezeichnende Interessenten. Für die nötige Öffentlichkeit wird die Interessengemeinschaft sorgen.

Ein Ärgernis im Wohngebiet ist der VEB Chlorodont. Er möchte vor der Nase der Bürger seinen Betrieb erweitern, muß nun bis 4. Mai ein Rentabilitätsgutachten vorlegen. Fällt es zuungunsten des Betriebes aus, dann werden die Neustädter die Baustelle blockieren und Baustopp erzwingen. Anderenfalls stehen Verhandlungen zwischen der Stadt, dem Betrieb und der IG an über einen doppelten Wertausgleich: im Wohnkomfort der benachbarten Bürger und für den Stadtteil. Chlorodont müßte zum Beispiel für die Begrünung und Hofgestaltung sorgen und soviel Häuser sanieren, wie durch seine Expansion in Anspruch genommen werden.

Auch um die Kinder der Neustadt kümmert sich die Interessengemeinschaft. Einmal in der Woche öffnen sechs Frauen aus der Arbeitsgruppe Soziales ein Kindercafe in der Louisenstraße. Das sprach sich bald herum, und jetzt hat die „Louise“ schon ihre Stammgäste. Abenteuerliche Spielplätze in Ruinen, auf Straßen und Müllcontainern fanden die Neustadtkinder selbst, einen richtigen Kinderspielplatz will ihnen die IG auf die Böhmische Straße bauen. Für dieses Projekt sang einst Wolf Biermann in Dresden, das hatte die VL eingerührt, den Löwenanteil der Kosten will nun endlich die Stadt bereitstellen.

Behutsame Sanierung soll die Äußere Neustadt den Menschen wohnlicher machen, die jetzt dort wohnen. Das Sanierungsgebiet darf nicht zur Geldquelle für Spekulanten werden. Schon tauchen adrette Herren in den Wohnungs- und Grundstücksverwaltungen auf, die nur mal schnell einen Gewerberaum kaufen wollen, besser noch ein ganzes Haus.

Damit eine neue Gründerzeit nicht ein weiteres Kapitel des Verfalls der Äußeren Neustadt eröffnet, stellte sich die Interessengemeinschaft mit zwei KandidatInnen zu den Kommunalwahlen. Friederike Köhn, Ärztin, Jahrgang 1944, und der Student Rolf Hofmann wollen das ungeliebte Kind der Kunst- und Kulturstadt im neuen Parlament vertreten. Wie auch immer die neuen VolksvertreterInnen heißen mögen, die Leute in der Neustadt wissen, was sie an ihrem Viertel haben, und rund um die „Louise“ wohnten noch nie die Zufriedensten. Detlef Krel