Kann denn Feiern Sünde sein?

■ Hausmeister wegen Abschiebung eines Oberschenkelhalsbruches vor dem Kadi

Eine Schule, von der aus es niemandem vergönnt war, Polizei oder Feuerwehr zu alarmieren. Ein öffentliches Gebäude, das statt der vorgesehenen Tragbahre nur Turnkästen und Bühnenbretter im Erste-Hilfe-Arsenal hatte. Ein Hausmeister, dem die Benutzung des Behördentelefonbuches spanisch vorkommt. Ein Verletzter, der mit einem komplizierten Oberschenkelhalstrümmerbruch von der Schulaula im ersten Stock unter großen Schmerzen an die nächste Straßenecke getragen und dort vom Rettungswagen aufgegriffen wird.

Kein Regisseur käme auch nur halbwegs auf die Idee, eine solch abstruse Szenerie zu inszenieren. Vor dem Bremer Amtsgericht dagegen wurde sie gestern als Stück aus dem wirklichen Leben verhandelt. Angeklagt waren die 59jährige Ruth K., Reinemachefrau, und ihr 53jähriger Ehemann, der Schulhausmeister Egon K., wegen unterlassener Hilfeleistung und körperlicher Mißhandlung. Die Staatsanwaltschaft warf ihnen vor, sich geweigert zu haben, von ihrer Hausmeisterwohnung aus einen Krankenwagen herbeizurufen, als bei einem Fest in der Schulaula der damals 21jährige Volker H. auf der Tanzfläche so unglücklich ausrutschte, daß er sich den Oberschenkelhals brach. Egon K. soll darüberhinaus TeilnehmerInnen

aufgefordert haben, den Verunglückten bis zur nächsten Straßenecke zu tragen, um Ärger mit der Schulleitung zu vermeiden.

Bei dem gestrigen Gerichtstermin offenbarten die beiden Eheleute ein ungewöhnlich gestörtes Verhältnis zum Telefon. In der Hausmeisterwohnung des Gymnasiums am Barkhof, in dessen Räumlichkeiten sich das ganze Stück in den Sommerferien des Jahres 1988 abspielte, stand demnach nur ein Behördentelefon. Ruth K.: „Das ist ein Diensttelefon, mit dem kann man nicht nach draußen telefonieren. Habe denen gesagt, sie sollen zur Telefonzelle.“ Egon K.: „In den Ferien ist alles abgeschaltet, da kann ich nicht raustelefonieren. Ja, mit Behördensprechbuch, das geht schon - wenn man weiß wie das geht, das ist ja eine ellenlange

Nummer. Krankenhaus? Ich glaube, das könnte ich auch mit Diensttelefon erreichen, aber bis ich die Nummer rausgefunden habe.“ - „Ein größerer Aufwand“, assistierte ihm die Verteidigerin, „als jemanden zur nächsten Telefonzelle zu schicken.“ Ein Blick in das Behördentelefonbuch belehrt einen des besseren. Schlägt man die erste Seite auf, prangen dort in Fettschrift die behördeninternen Notrufnummern. 11-2, so simpel läßt sich mit dem Schuldiensttelefon Rettungsdienst und Krankentransport anwählen.

Warum also so dürftige Rechtfertigungen? Hausmeister K. trainierte eine Jugendfußball mannschaft. Drei seiner Jungs wollten ihren 18ten Geburtstag standesgemäß feiern, mit einer großen Fete und vielen Freunden.

K. stellte großzügigerweise die Schulaula zur Verfügung, ohne die dafür notwendige Genehmigung eingeholt zu haben. Und dann geschah, was nicht passieren durfte. Das Fest geriet ihm aus dem Ruder, fast hundert Leute waren versammelt, als Volker H. beim Bierholen aufs Kreuz fiel. Drei Zeugen gaben gestern zu Protokoll, daß das Hausmeisterehepaar auch die Begründung für die fehlende Hilfeleistung geliefert habe: Weil die Veranstaltung „versicherungstechnisch nicht abgesichert“ sei, dürfe kein Krankenwagen geholt werden. So schleppten die Jugendlichen den Verletzten auf Brettern die Treppen hinunter, legten ihn an der nächsten Straßenecke aufs Pflaster und riefen von der nächstgelegenen Telefonzelle den Krankenwagen an.

Andreas Hoetzel