AUSSPRACHE ÜBEN

■ Anläßlich des Theatertreffens wurde über den freien Fall der Volksbühne diskutiert

Bisweilen geschieht es, daß zu Diskussionen über Theater mehr Publikum erscheint als zu den Aufführungen selbst. Das Theater der Freien Volksbühne (West) beispielsweise dürfte in letzter Zeit selten so viel Volk vor seiner Bühne gehabt haben wie am Montag bei der Diskussion über ihren jüngsten Verfall. Das Spiegelzelt auf dem Parkplatz neben dem Theater war jedenfalls rappelvoll mit Empörten, Gönnern, Rettern, Untergangs-Voyeuren, Tiefbetroffenen und sonstigen Neugierigen. Auf dem Podium der funkelnagelneue Folge -Intendant Hermann Treusch, sein Vorfahre Kurt Hübner, Ost -Volksbühnen-Kollege Fritz Rödel, Kultursenatorin Anke Martiny, deren Vorgänger Volker Hassemer, Thalia -Theaterintendant Jürgen Flimm aus Hamburg sowie ein gewisser Dieter Kranz, eine Art Kritikerpapst aus Ost -Berlin, der wußte, daß ein Spielplan anspruchsvolle und unterhaltsame Elemente haben müsse. Die Leitung hatte der Bildungsforscher Hellmut Becker, der gelegentlich 'Volksbühne‘ mit 'Volkshochschule‘ fehlleistete und forschend fragte: „Wo sollen eigentlich die Massen für dieses Theater herkommen, und was soll die anziehen?“

Alles sei ja immer schon sehr schwer gewesen mit der Volksbühne damals und heute und in Zukunft, historisierte Alt-Intendant Kurt Hübner, während Neu-Intendant Treusch fand, daß Feuerwehrspielen immer „relativ spannend“ sei, während Berlin geradezu „objektiv spannend“ ist, Kulturpolitiker sich ständig wie Eltern, die Taschengeld verteilen, benehmen und bei der Volksbühne bremsen und gleichzeitig Gas geben. In Treuschs noch nicht unterschriebenem Vertrag stünde im übrigen etwas von der „Gestaltung des Spielplans nach den Ideen der Volksbühnenbewegung“, und zwar „im Rahmen der Mittel“, ja, und deshalb würde man jetzt während der Fußballweltmeisterschaft die Vorstellungen vorverlegen, um anschließend im Foyer kollektiv fernsehen zu können.

Tief in den Volksbühnenbewegungsfundus griff die SPD -Kultursenatorin. Unter Streifung eines Erlebnisses mit Martha Ollenhauer (Magdeburger Hutmacherin!) entwickelte Martiny die These, daß Arbeiterkultur doch wohl quasi nichts anderes als Alternativkultur gewesen sei und wieder werden müßte, weshalb die Kulturverwaltung sich jetzt gefragt hätte, „nach welcher Persönlichkeitsstruktur“, die aufklärerisch, alternativ und arbeiterbewegt ist, sie hätte suchen sollen, und prompt auch ein Kreis von zehn Leuten einen Abend leider ergebnislos überlegt hätte. Aber schließlich sei die Volksbühne ja nur eine unter acht großen Schauspielbühnen in Berlin, weshalb sich Martiny außerstande sehe, deren Position zu beschreiben, vor allem jetzt, wo die neue Leitungsriege der Staatlichen Schauspielbühnen so einen prima Spielplan vorgestellt hätte.

Die Rolle des Oberschützers spielte Volker Hassemer. Hermann Treusch hätte es ja jetzt „durch die Situation des Wegtuns von Neuenfels“ so schwer, gerade auch als Nachlaßverwalter mit diesem kurzen Zweijahresvertrag. Und das sei doch alles so entmutigend, wenn man jetzt so schlecht von der Volksbühne spreche. Im übrigen sei es falsch, Theater von außen definieren zu wollen nach dem erwarteten Output. Politiker sollten nur seinen Arbeitsraum schützen. Und außerdem sei es egal, wieviele Theater es in Berlin gäbe, man wolle ja nicht nur Aldi-Ort, sondern auch Theater-Ort werden.

Ost-Rödel wiederum will nicht nur, daß Bäcker und Busfahrer ins Theater gehen, er ist auch gegen die künstlerische Wiedervereinigung der beiden Volksbühnen-Theater. Dies sei der Tod des Theaters, findet auch Jürgen Flimm, genau wie das En-suite-Spiel, dem die Volksbühne bis zur Ära Neuenfels verpflichtet war.

Daß die Volksbühne nur als Ensemble-Theater arbeiten kann, hat mittlerweile auch ein Gutachten für die Kulturverwaltung festgestellt - immerhin in diesem Punkt waren sich alle einig. Aber das kostet ja Geld! Man muß dann umbauen und braucht schon allein für Fundus und Werkstätten wesentlich mehr Platz. Aber, so meldete sich der nach eigenem Bekunden skrupellose Optimist Treusch, während des Umbaus müsse auf jeden Fall weitergespielt werden!

Den einzigen Ausweg aus der Dauermisere der Volksbühne sehen einige auch nur in der Änderung der Eigentumsverhältnisse. Jürgen Flimm redete der Kultursenatorin ins Gewissen, daß sie unbedingt den Finanzsenator zur Zustimmung dazu bewegen müsse, daß das Land Berlin in die Volksbühnen GmbH als Gesellschafter eintritt, auch wenn solche Beteiligungen im Moment in Berlin eigentlich nicht mehr in Frage kommen. Alles andere sei verantwortungslos. Indessen betet Rödel „zu Gott“, er möge die Eigentumsverhältnisse der staatlichen Volksbühne (Ost) erhalten, während Hübner immer nur von „richtigen Männern“ träumte...

Grr