... und keiner weiß, was nun

■ Anarchie in den Rathäusern: Ostberliner Stadtbezirke schwimmen im rechtsfreien Raum / Ursache ist das bislang fehlende Kommunalgesetz / Keiner weiß, wie welche Ressorts verteilt werden sollen und ob die stärkste Partei den Stadtbezirksbürgermeister stellt

Ost-Berlin. Die Ostberliner Kommunalwahlen münden im rechtsfreien Raum: Bislang ist völlig unklar, nach welchem Modus sowohl die Stadtbezirksbürgermeister wie auch die einzelnen Stadtbezirksräte überhaupt bestimmt werden. Der Grund dafür liegt in dem immer noch nicht beschlossenem Kommunalgesetz. Ein entsprechender Entwurf wird erst morgen in der Volkskammer in erster Lesung beraten. Nicht klar ist allerdings, ob der Gesetzentwurf zu diesen Punkten überhaupt Aussagen enthalten wird - die Pressestelle der Volkskammer konnte dazu gestern keine Angaben machen.

Die Folge ist völlige Verunsicherung in sämtlichen Rathäusern der „Hauptstadt“. Beispiel Friedrichshain: Hier soll sich am 6. Juni die neue Stadtbezirksversammlung konstituieren, bis dahin bleiben die ehemaligen Volksvertreter noch im Amt. Auf der ersten Sitzung, so ist es laut Uta Ratzel vom Büro der Stadtbezirksversammlung vorgesehen, hat jede Fraktion die Möglichkeit, einen Kandidaten für das Bezirksbürgermeisteramt vorzuschlagen, der dann in geheimer Abstimmung gewählt wird.

Denkbar wäre aber auch, so Ratzel, „daß die stärkste Partei was anderes verlangt und auf jeden Fall den Bürgermeister stellen will“. Das kann in Friedrichshain zu heftigen Diskussionen führen: Hier sind SPD und PDS gleich stark und haben in der Stadtbezirksversammlung jeweils 31 Mandate.

Ebenfalls offen ist bislang, nach welchem Parteienverhältnis die einzelnen Stadtbezirksräte bestimmt werden und nach welchen Ressorts sie sich aufgliedern. Noch unter SED-Regierung bildeten fünfzehn Stadträte den „Rat des Stadtbezirks“, doch schon im Rahmen der jüngsten Strukturveränderungen wurden einzelne Ressorts zusammengezogen oder ganz gestrichen, andere, wie die Abteilung für Gleichstellungsfragen, entstanden neu. Über das Ausmaß und die Art der Umstrukturierung entschieden die einzelnen Stadtbezirke in den letzten Wochen selbständig. Die Folge: Kein „Rat der Stadt“ ist wie der andere, die Verantwortlichkeiten sind von Rathaus zu Rathaus unterschiedlich verteilt.

In den Westberliner Bezirken teilen jeweils sechs Stadträte die einzelnen Ressorts untereinander auf. Ausschlaggebend ist die Parteienmehrheit, nach der die Ämter verteilt werden, so daß jede in der sogenannten Bezirksverordnetenversammlung vertretene Partei mindestens einen Stadtratsposten bekommt. Den Bürgermeister stellt die stärkste Partei. Ob sich dieses Modell auch in den Ostberliner Stadtbezirken durchsetzt, oder ob sich Koalitionen bilden, die dann nur untereinander die Ämter verteilen, steht genauso in den Sternen wie die Antwort auf die Frage, welche Ressorts überhaupt in Zukunft fest installiert werden sollen. „Darüber kann keiner eine ordentliche Auskunft geben“, klagt Uta Ratzel. Friedrichshain ist kein Einzelfall - eine konkrete Entscheidung verschieben bislang alle Ostberliner Stadtbezirke auf die erste Stadtbezirksversammlung.

su/maz

Bei Redaktionsschluß lagen die Wahlergebnisse aus den Ostberliner Stadtbezirken noch nicht vollständig vor. Ein erstes offizielles Gesamtbild der Stimmverteilung in allen Stadtbezirken wird laut Auskunft der Wahlkommission frühestens heute nachmittag erwartet.