: Ohne Streit kein Fight
■ Untersuchungen über das Zusammenspiel beim Eishockey enthüllen das Geheimnis der deutschen Schlappe
Schämt euch, ihr Betrüger“, wurden das deutschen Eishockeyteam bei der WM von den Fans wüst geschmäht. Recht geschieht's ihnen, urteilten die erschütterten Beobachter der miserablen Mannschaft. Kein Einsatzwille, null Disziplin, schwache Nerven, nichts als ein Torso, übertrafen sich die Kritiker fortan von Spiel zu Spiel.
Doch im nachhinein festigt sich der Verdacht, daß die Falschen verflucht wurden. Denn die Verhinderung des Debakel wäre, statistisch gesehen, einfach gewesen. Und sie lag nicht zwangsläufig in der Hand der Spieler.
Diese dreiste Behauptung richtet sich vorwurfsvoll an die Adresse des inzwischen geschaßten Trainers Xaver Unsinn. Auch eine lange über jede Kritik erhabene Eishockey-Legende wie er sollte sich gelegentlich weiterbilden. Wäre er dieser Plicht gewissenhaft nachgekommen, viele Tränen wären gespart worden. Sagt die Soziologie. Denn bereits in der Januar -Ausgabe der Fachzeitschrift 'Leistungssport‘ stand es, das definitive Erfolgsrezept für den deutschen Sturm: Streit, Hader und Zwietracht.
Sicherlich, der Artikel von Simo Salminen und Pekka Luhtanen wirkt auf den ersten Blick eher unscheinbar: „Die Auswirkungen von Sympathiewahlen auf das Paßverhalten im Eishockey“, so der Titel der Offenbarrungsschrift. Aber, Herr Unsinn, mal ehrlich: hätten nicht angesichts eines lange zerstrittenen Sturms allein bei der Wortkopplung Eishockey und Sympathie alle Lichter angehen müssen?
Wohl nicht, und statt einer halben Stunde Lesens arbeitete der Teamchef hart daran, Harmonie in die Mannschaft zu bringen, alte Feindschaften zu begraben und neue Freundschaften anzubahnen.
Fatal, so beweisen die Untersuchungsergebnisse. Denn weniger als die Hälfte der Pässe beim Eishockey, nämlich nur 35 bis 48 Prozent, werden an Freunde gespielt. Was nichts anderes heißt, als das der Puck meistenfalls an jene Mitspieler abgegeben wird, denen man nicht so recht grün ist. Fördert also, so der gewagte Umkehrschluß, Zwietracht in der Mannschaft den Spielfluß?
Auf jeden Fall, so wurde bewiesen, wird die Spielqualität gesenkt, wenn Freunde miteinander spielen. Statt nämlich an denjenigen abzugeben, der am erfolgsträchtigsten positioniert ist, bevorzugt man seinen Lieblingsspezi. Auch, wenn der nur halb so gut steht und mit dem Paß nur wenig anfangen kann.
Halten wir fest: Das Passen zu Freunden verringert den Erfolg der Mannschaft. Hätte Unsinn das vorher gewußt, er und sein Lebenswerk wären gerettet gewesen, angesichts der vielen Antipathien in der Mannschaft. Statt dessen ließ er sich loben ob des Kunststücks, den Paradesturm Trunschka/Steiger/Hegen wiederversöhnt zu haben. Die schoben sich fortan freundlich den Puck zu, ob es sinnig war oder nicht.
Nun, wo man schlauer ist, bekommen selbst die klugen Tips des Kölner Trainers Hardy Nilsson einen heimtückischen Beigeschmack. Der riet, „man solle die Mannschaft in einen Bus setzen und schön einen drauf machen“, um die Stimmung untereinander zu verbessern. Hat etwa er die Untersuchung gelesen und ist am Ende scharf auf Unsinns Job?
Unverkennbar zumindest, daß sich die neuen Freunde mit ausgesuchtester Höflichkeit behandelten: „Willst du gerne denn Puck?“ „Nein, gib ihn dem lieben Hegen, der hat schon so lang nicht mehr...“ „Aber nicht doch, Trunschi, nach dir.“ Berauscht von dieser, im Eishockey so seltenen zwischenmenschlichen Wärme war es denn auch zweitrangig, daß Finnland in Unterzahl drei Tore schießen konnte.
Der einzige, dem dies alles selsam düngte, war Kapitän Udo Kießling. Intuitiv forderte er, „daß jeder sein eigenes Ich in den Hintergrund stellen soll“, was die Situation, wie wir nun wissen, verschlimmerte. Den Gnadenstoß verabreichte Erich Kühnhackl, der ungeliebte Vertreter des vor Kummer krank darniederliegenden Trainers. Anstatt tüchtig auf den Putz zu hauen, setzte er die bewährten Vereinsblöcke ein, um, oh Schreck, „mehr Harmonie“ zu gewährleisten.
So belegt die WM die wissenschaftliche Forschung, daß deutsches Eishockey auf die sanfte Tour keine Zukunft hat. Konflikt-Konzepte müssen her, her, Streit, daß die Fetzen fliegen, Intrigen und Verleumdung. Vor allem aber, und das hält Trunschka für das weitaus motivierendste Mittel: Geld.
miß
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