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„Beziehungsabbruch war Fehler“

■ Immer mehr osteuropäische Länder nehmen diplomatische Beziehungen zu Israel auf / Arabische Welt besorgt

Tel Aviv (taz) - Die rapiden Veränderungen im Ostblock haben Israel innerhalb von nur wenigen Monaten unerwartete außenpolitische Erfolge beschert. Die jahrzehntelange Ära diplomatischer Isolierung und Ächtung des jüdischen Staates durch den kommunistischen Block neigt sich nun - sehr zum Leidwesen der arabischen Nachbarn Israels - dem Ende zu. Diese plötzliche Kursänderung der osteuropäischen Staaten ist allerdings kaum ein Verdienst Jerusalems. Denn die alte und vermutlich auch neue Regierung unter dem Parteichef des rechtskonservativen Likud-Blocks, Jizchak Schamir, läßt bis heute jegliche Bereitschaft zur Einleitung eines umfassenden Nahost-Friedensprozesses vermissen.

Kurz bevor der tschechoslowakische Präsident Vaclav Havel in der vergangenen Woche als erstes Staatsoberhaupt eines osteuropäischen Staates Israel besuchte, hatte die CSFR nach Ungarn und Polen volle diplomatische Beziehungen mit Israel aufgenommen. Am vergangenen Donnerstag zog dann auch die bulgarische Regierung gleich. Stolz konnte der israelische Außenminister Mosche Arens, der zu einem Besuch in Bulgarien weilte, in Sofia die Wiederaufnahme der nach dem Sechstagekrieg von 1967 abrupt abgebrochenen Beziehungen verkünden. Auch Jugoslawien und die DDR haben jüngst ihr Interesse an diplomatischen Vertretungen in Jerusalem bekundet. Zuvor hatte Ost-Berlin, das 40 Jahre lang jegliche Mitschuld am Holocaust beharrlich und hartnäckig von sich gewiesen hatte, noch seine starre Position revidiert und die Mitverantwortung an der „Endlösung der Judenfrage“ übernommen.

„Der Abbruch der politischen Beziehungen zu Israel war schlicht ein schwerer historischer Fehler.“ Diese Aussage Havels ist bezeichnend für die veränderte politische Motivlage des gesamten Ostblocks. Freilich, auch wirtschaftliche Gründe trugen zu dieser diplomatischen Kehrtwende bei. Erhofft sich doch Osteuropa Hilfestellungen Israels bei Sanierung und Konsolidierung der maroden Volkswirtschaften. Israel könne, so das östliche Kalkül, weltweit seinen Einfluß bei jüdischen Industriellen geltend machen und diese zu Investitionen bewegen. Daneben verfügt der jüdische Staat über eine Reihe von Produkten, die gerade in Osteuropa Mangelware sind. So ging zum Beispiel Anfang April eine große Ladung israelischer Orangen an die DDR.

Den Grundstein für das neue Ost europa-Israel-Beziehungsgeflecht legte im Juli 1987 zwar die Sowjetunion mit der Einrichtung einer „konsularischen Mission“ in Tel Aviv. Moskau hat zwar bis heute keine vollen diplomatischen Beziehungen mit Jerusalem aufgenommen. Das Verhältnis zwischen beiden Ländern hat sich aber auch ohne diesen letzten Schritt gut entwickelt. 1988 trafen der israelische Ministerpräsident Schamir und der sowjetische Außenminister Schewardnadse in New York zusammen. Im gleichen Jahr erhielten dann mehr als 19.000 Juden aus der Sowjetunion die Erlaubnis, nach Israel auszureisen. Im Jahr darauf waren es dann bereits 71.000 Juden. Nach israelischen Angaben werden in diesem Jahr 250.000 sowjetische Juden in Israel erwartet. Für 1991 wird im Heiligen Land gar mit bis zu 500.000 Neuankömmlingen gerechnet.

Diese prognostizierte Masseneinwanderung nach Israel indes bereitet den Arabern zunehmend schlaflose Nächte. „Osteuropa und die Sowjetunion haben sich von der politischen Bühne abgemeldet“, war die einhellige Meinung vieler arabischer Politiker zum Abbröckeln des „antizionistischen“ Ostblocks. Da die arabischen Staaten nun ihren wichtigsten Interessenvertreter verloren glauben, besinnen sie sich wieder auf das Zauberwort der wahda, der arabischen Einheit. Nur sie, so beschwören sich die arabischen Staatsoberhäupter gegenseitig, könne ihnen Lösungsansätze für die drängenden Probleme innerhalb der arabischen Welt an die Hand geben und ihr auf internationalem Pakett wieder Gehör verschaffen.

Amos Wollin

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