Grundgesetz oder neue Verfassung?

Diskussion im Bundesrat über „gesetzgeberische Wege zur deutschen Einheit“ / Sollen geltende Grundgesetznormen verändert oder ergänzt werden?  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

Das bundesdeutsche Grundgesetzmuß auch Verfassung eines vereinigten Deutschland werden - und zwar ohne Änderungen. Das bundesdeutsche Grundgesetz kann nur dann die Verfassung eines vereinigten Deutschland werden, wenn sich die Mehrheit der Deutschen in einer Volksabstimmung dafür entscheidet - und zwar erst nach einer öffentlichen Diskussion über Änderungen und Ergänzungen der geltenden Grundgestzartikel.

So entgegengesetzt sind die Positionen von zwei Bundesverfassungsrichtern, die sie gestern auf einem Symposium des Bundesrates über „Gesetzgeberische Wege zur deutschen Einheit“ in Bonn vortrugen. Und auch bei der Diskussionzwischen Richtern, Rechtsgelehrten, dem DDR -Justizminister und einem Bonner Staatssekretär wurde deutlich, daß die verschiedenen Positionen absolut unvereinbar sind.

„Die Notwendigkeit des unbedingten Beitritts“, so formulierte Hans Hugo Klein, Richter am Bundesverfassungsgericht jene Forderung bundesdeutscher Regierungspolitiker an die DDR, die inzwischen auch viele Staatsrechtler stellen.

„Verfassungspolitsch zweifelhaft, jedenfalls überflüssig, tendenziell gefährlich und schädlich“ ist für Klein eine mögliche Volksabstimmung über eine neue, gesamtdeutsche Verfassung. Und auch Klaus Kinkel, Staatssekretär im Bonner Justizministerium, hält nichts davon, daß man die Bevölkerung an einer solchen Verfassungsgebung beteiligt. Auch ist er strikt gegen eigene Wünsche der DDR-Regierung für eine neue Verfassung, die gestern der Ostberliner Justizminister Wünsche vortrug: Plebiszitäre Elemente in einem gesamtdeutschen Grundgesetz - also etwa die verankerte Möglichkeit der Volksabstimmung - „brächten kein Mehr an Demokratie“. Soziale Individualgrundrechte - das Recht auf Arbeit, Wohnung, gesunde Umwelt etwa - würden ein neues Grundgesetz nur überlasten und seien außerdem nicht einklagbar. Ob dies so ist, muß nach Ansicht Dieter Grimm, Rechtsprofessor und Bundesverfassungsrichter, in einem „breiten gesellschaftlichen Diskurs“ erst einmal festgestellt werden.

Erst dann hält er es für sinnvoll, daß über die neue Verfassung abgestimmt wird. Für den Justizminister der DDR allerdings, würde dieser Prozeß „zuviel Zeit und zuviel Kraft kosten“. Wie der Bonner Staatssekretär Kinkel, plädierte er für eine „möglichst schnelle“ Angleichung des Rechts von DDR und BRD - was für ihn bedeutet: „die Dominanz des bundesdeutschen Rechts muß anerkannt werden.“