Ein freier Tod für freie Frauen?

■ Frauenforscherin Hannelore Cyrus mit einem Vortrag zu „humanem Sterben“ im belladonna / Ist Sterbehilfe die Legalisierung von Euthanasie?

„Ein freier Tod für freie Frauen?“ Hannelore Cyrus, auf Frauenfragen spezialisierte Professorin an der Uni Bremen, hin

terfragte provokativ die Sterbehilfe. Es seien vor allem Frauen, die mit Hilfe männlicher Todesgötter den eigenen Tod geplant

und in Szene gesetzt hätten, schilderte Hannelore Cyrus ihre Beobachtung, mit der sie im belladonna, dem Bildungszentrum für

Frauen in der Sonnenstraße, die Diskussion um ein Tabu anregen wollte. Die spektakulären, öffentlichkeitswirksam vermarkteten (Horror)Fälle der Sterbehilfe zitierte sie: Hermi Eckert zum Beispiel, 69 Jahre alt und durch Gesichtskrebs entstellt - „eine lebendige Zumutung, nicht zum An-, sondern nur zum Wegschauen, Wegschaudern.“ Oder Klara Hackethal, 84jährig und von ihrem berühmten Sohn, den sie vergötterte, mit einer Überdosis Dolanthin aus ihrem Dasein „erlöst“. Oder Daniela, die junge Frau mit gebrochenem Genick, nach ihrem Unfall „nur noch ein lebender Kopf, eine lebende Mumie“, auf deren Tod „die ganze Welt“ gewartet hat. Sie alle ließen sich von Hackethal oder der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DSHG) bei ihrem Freitod helfen. Hannelore Cyrus zitiert minutiös beobachtende Presseberichte, devote Bitt-Briefe der Frauen an ihre Totmacher, zynische oder vordergründig liebevolle Stellungnahmen von Julius Hackethal und Hans Henning Atrott, dem Präsidenten

der DGHS.

Ingrid Frank, 30 Jahre jung, ab dem 4. Halswirbel querschnittsgelähmt, wählte den absolut sicheren, allerdings keineswegs humanen Tod durch Zyankali: Von einem ahnungslosen Zivi ließ Ingrid sich in eine eigens angemietete Wohnung bringen. Dort wartete die Todesbotin bereits auf die schwerbehinderte Frau, die sie im Fernsehen später als „fröhlich, freudig, glücklich“ an diesem Tag beschrieb. Todesbotin Sch. stellt der bis zum Kopf Gelähmten das Glas mit abknickbarem Strohhalm auf die Brust. 15 Minuten später hat das todsichere Gift gewirkt. Mit Polaroid -Fotos wurde der todbringende Schluck dokumentiert, die Regenbogenpesse schlachtet ihn weidlich aus. Eine Medizinreportage im Fernsehen rollt den Fall auf: befragt Freunde, Eltern, den Präsidenten der Gesellschaft für humanes Sterben, seine Helferin an Ingrids Sterbebett.

In einem Videofilm hatte Ingrid Frank schon Monate vorher ihren Selbstmord-Plan filmen lassen (von wem?), hatte ihre HelferInnen aus der Verantwortung entlassen, ihre Entscheidung bekräftigt. Freunde, Therapeuten, Lehrerin: Sie alle sind fassungslos, fühlen sich hintergangen, betrogen. Denn: Ingrid hatte in einem Rehazentrum in Heidelberg erfolgreich eine Umschulung zur Sozialarbeiterin begonnen, hatte sich im Seminar intensiv mit dem Sterben auseinandergesetzt - ihre Todeswünsche jedoch niemanden spüren lassen. „Sie lebte in zwei Welten“, sagt ein ebenfalls im Rollstuhl lebender Freund vor der Kamera.

Hannelore Cyrus zeigte den TV-Film zu Ingrid Franks gewolltem Sterben. Ingrids Todeswunsch stellen die im belladonna diskutierenden Frauen prinzipiell nicht in Frage: Kennen sie ihn doch z.T. aus eigenen Depressionsphasen oder aus der Betreuung von Schwerstkranken, Behinderten und Sterbenden. Doch gerade aus ihrer eigenen Betroffenheit heraus bezweifeln die Teilnehmerinnen des Diskussionsabends die Authentizität dieses Todeswunsches: Über Monate, gar Jahre hinweg sei dies unwahrscheinlich. Eher wahrscheinlich sei erfahrungsgemäß die beinahe Gleichzeitigkeit und der Wechsel von Todessehnsucht und Lebenswille. Hauptvorwurf an institutionelle Sterbehelfer ist dann auch, daß sie den Betroffenen keine Alternative bieten: Keine Perspektive und keine Lebenshilfe. Die Gesellschaft für humanes Sterben, die bundesweit immerhin 20.000 Mitglieder hat, verfolgt den Tod als einziges und ausschließliches Ziel. Den Menschen bleibt keine Möglichkeit, sich doch noch für Leben zu entscheiden. Und gerade weil es sich meist um Behinderte handelt, steht die Frage im Raum, ob Sterbehilfe nicht letztlich die Legalisierung von Euthanasie bedeute. Und ob die proklamierte Erlösung nicht letztlich nur die Erlösung der Mitmenschen und der im Umgang mit Kranken, Sterbenden, Behinderten zum Mitleiden unfähigen Gesellschaft bedeute. Hannelore Cyrus spricht von Sterbehilfe im Gegensatz zu Lebenshilfe, von Menschentsorgung im Gegensatz zu Menschenversorgung.

Birgitt Rambalski