ZUKUNFT WEGGEATMET

■ „Die Letzten“ (Maxim Gorki) vom Schauspielhaus Bochum in der Regie von Andrea Breth beim Theatertreffen

Tod und Teufel, Gewissen und Unmoral, Seele und Feigheit, Geld und Schulden, Trunksucht und Nüchternheit, gut und schlecht: zwischen diesen Gegensatzpaaren spannt in der Regel ein russisches Stück der Jahrhundertwende seine Dramatik aus. Nicht anders Maxim Gorkis Drama Die Letzten (1908): die Welt ist voller Anarchisten, Terroristen, Polizisten, Gläubiger und Ungläubiger, Beter und Sünder; in diesem Stück sind sie ordentlich in zwei Gruppen geteilt. Da gibt es den guten Bruder und den bösen, die guten Kinder und die anderen, die Heuchler und die Nichtheuchler, und am Schluß stirbt der Nichtheuchler an der Zigarette, die der Böse neben ihm, dem Herzkranken, angezündet hat.

Dank der Bösen kommt alles ins althergebrachte Rollen: in die falschen Heiraten, die zugeschacherten Jobs, die nichtverdienten Ehren. Dank der Guten gerät alles ins Stocken: Den Vater wollen sie zwingen, zu gestehen, daß er einen Attentäter zu Unrecht verleumdet hat, wodurch er seine Karriere gefährden würde, eine Tochter verweigert die Beziehungsheirat; eine andere verweigert die Anrede „Vater„; die Frau verweigert die Ehrerbietung, der Bruder verweigert das Geld.

Und doch nützt alles nichts: Die Welt ist eine schlechte, und deshalb sind alle Menschen krank. Die unmögliche Ehrlichkeit ist der heimliche Drahtzieher am Tisch: Die gutgläubige Tochter geht mit ihrem Traumhelden durch und wird von ihm geschändet; die andere entdeckt, daß ihr Vater nicht ihr wirklicher Vater ist. Das Herz bricht, wie es heißt, sofort. In einer fatalistischen Geste bittet die Mutter die Kinder zuletzt um Verzeihung, daß sie sie geboren hat. Das Vergehen am Leben der Kinder durch Willensschwäche und fehlenden Stolz der Eltern ist Gorkis Leitmotiv und wird in der Inszenierung nicht gegen die vorgetragene naturalistisch-metaphysische Zwangsläufigkeit gebürstet immer wieder das Pingpong der oben genannten Wörter, die Beschwörungsformel der Conditio humana klingt in Sprachhülsen aus.

Die Inszenierung hält sich bis zum Lampenschirm hin eng an die Regieanweisung. Die Handlung geht in einem Möbellager unter; man zieht von einem Zimmer ins nächste und zieht doch immer nur um den Kamin herum. Wie die Lage des Eßzimmers auf der Bühne verändert sich die Perspektive auf die Familie und bleibt doch immer die gleiche. Auffällig oft werden die Sitzplätze gewechselt, das Licht ist russisch diffus, man atmet sich gegenseitig die dünne Luft weg, man geht vor dem Gespräch zur Türe hinaus. Ordentlich wird da ein Stück mit einem ordentlichen Schauspielerensemble in die Vergangenheit zurückinszeniert. Gorkis Frauen, denen Andrea Breths Liebe gelten wollte, sind nur stark, wenn sie verkrüppelt sind. Und die Inszenierung nur, wenn sie die Poesie zu Grabe trägt.

Michaela Ott