HEISS AUF KITSCH UND KAUTSCHUK

■ Berliner Galerien zeigen brasilianische Kunst

Im Jahr 1989 gründete Maria do Carmo Vogt, seit fünf Jahren Kataloge durch die Berliner Galerien schleppend und als inoffizielle Botschafterin brasilianischer Kunst sich die Hacken abwetzend, die Deutsch-Brasilianische Kulturelle Vereinigung. Mit der Galeristin Ursula Noe entwickelte sie das Projekt einer über mehrere Galerien Berlins verstreuten Präsentation brasilianischer Künstler, dem sich das Goethe -Institut anschloß. Getragen wird das Projekt vom Goethe -Institut, den Galeristen und privaten Sponsoren. Da in Brasilien nach den letzten Wahlen alle kulturellen Förderungen gestrichen, das Kulturministerium und viele kulturelle Institutionen aufgelöst wurden, sind die brasilianischen Künstler nicht nur für dieses Berliner Ausstellungsprojekt auf das Interesse des Kunsthandels und die Unterstützung der Wirtschaft angewiesen.

„Art“ heißt die Kunst im internationalen Konkurrenzkampf. Die Verheißungen der Kunst-Promotion von „Art Brasil“, daß die brasilianische Kunst vielfältig, vital, facettenreich, innovativ, aktuell, avantgardistisch und kosmopolitisch sei, erweckt den Verdacht, einschläfernden Kopien des „Weltniveaus“ ausgesetzt zu werden. Angereiste Kunst als beliebiges Futter für eine stets nach Neuem gierende Ausstellungsmaschinerie. Da sich zudem die einzelnen Galerien den Kulturimport entsprechend ihrem Programm ausgewählt haben, bleibt der Anschluß der Kunst des fremden Kontinents an die Berliner Szene zu befürchten.

So beginnt „Art Brasil“ mit vertrauten Bildern in der Nollendorfstraße: mit wildem gestischem Expressionismus, Berliner Spezialität, füllt Arnaldo de Melo, seit 1987 Student an der HdK Berlin, seine Leinwände (Galerie Roepke). In groben Umrissen setzt er Bewegung ins Bild, Beschleunigung bis zur Auflösung. Etwas wird weg-gemalt, unter den Farbflächen wie unter einem Stein plattgedrückt. Gegenüber, in der Bildhauergalerie Messer-Ladewig, hat Adriane Guimaraes, ebenfalls Studentin der HdK, eine Installation aus Eisen und Beton aufgebaut, die in den Gegensätzen von Festigkeit und Zerfall von der zeitlichen Bedingtheit und Anfälligkeit monumentaler Kulturen erzählt.

Roberto Lucios abstrakte Kompositionen geometrischer Flächen in den pastellnen Farbtönen sonnenbeschienener Mauern und abblätternder Anstriche passen sich mühelos in das spielerische und konstruktive Formenpuzzle der Galerie Noe ein. Von Antonio Dias, der seit seinem Berlin-Aufenthalt als DAAD-Stipendiat als prominente Bereicherung der Kunstszene Berlins vereinnahmt wurde, sind kleine veredelte Wellpappen in der Galerie Nothelfer zu sehen.

Doch dann bricht wie die vorsommerliche Hitze in Berlin doch noch tropische Fremdartigkeit in der brasilianischen Kunst durch, auf die mein Berlin-gesättigtes Unterhaltungsbedürfnis lauert. Zuerst ein wenig Kitsch gelutscht: Wie die Bemalungen von Zirkuswagen muten die Illustrationen von Flavio Tavares an. Folkloristisch, mystisch, dramatisch beleuchtet wie alte Hollywood-Schinken, zeigt er geheimnisvoll ritualisierte Szenen. Mehr noch nähert sich Sergio Lucena in seinen Bildern einer lateinamerikanischen Fabulierlust, die in Literatur und Filmen die ratiomüden Europäer so begeistert. Er entspinnt einen Karneval grauslicher und komischer Figuren. Ungeheuer und Kasper spielen Gott und König. Konzentrische Ringe um die weit aufgerissenen Augen, lange, rote, obszöne Nasen aus dem Gesicht hängend und mit gefährlich vielen Zähnen grinsend, tanzen seine Figuren in nächtlichen Wäldern, kriechen aus Erdlöchern und Wurzeln, fahren in Betten, Schiffen und auf Bühnen durch die Welt. (Ladengalerie)

Ein bißchen Voodoo hält die Galerie Springer bereit: Der Fotograf Mario Cravo Neto inszeniert Mensch und Tier zu merkwürdigen kultischen Mischwesen. Das kreisrunde Auge einer Gans rückt an die Stelle des menschlichen Auges. Hände halten einen stacheligen Fisch oder eine Schildkröte als Maske vor das Gesicht. Die schwarze Haut der Tierträger wird, mit Farbe gesprenkelt, den schuppigen Panzern verwandt. Nie sind die Menschen ganz zu sehen, immer steht das Tier im Zentrum der symmetrischen Kompositionen. Dennoch bleiben der tierische und der menschliche Körper zwei unvereinbare Wesen. Neto rekonstruiert und stilisiert die Gesten einer Anverwandlung für den Augenblick der Fotografie, aber er kann sie nicht wieder beleben. Unseren Blicken ausgesetzt wird der Zauber zu einem statuarischen und musealen Gegenstand.

Von der Kraft der Masken und dem Spiel der verschobenen und ausgetauschten Identitäten erzählt auch eine große aus Kautschuk geschnittene Form von Hilton Beredo. Für ihn entschied sich der Galerist Horst Dietrich, weil ihn die Fremdartigkeit des Materials interessierte. Kautschuk, billig und trivial, ist zugleich Bestandteil der Geschichte Lateinamerikas; der einstige Reichtum und die Ausbeutung des Landes waren damit verknüpft, bis das Material durch den synthetischen Ersatz zur Wertlosigkeit verkam. Beredo schneidet aus großen Kautschukplatten Masken und vegetabile Formen aus, die sich aufgehängt zu weichen Skulpturen biegen. Die leuchtenden Farben der Bemalung und die Zeichnung mit einfachen Konturen ahmen die elementare Aussagekraft primitiver Kunst nach. Vergangenheit und Gegenwart brasilianischer Kultur begegnen sich in Material und Form.

In der folkloristischen Zeichensprache der handgemalten Reklame in den Vororten fand Emmanuel Nassar sein Vokabular für eine emblematische und konzeptionelle Malerei. Motive der Touristikindustrie, nationaler Mythen und politischer Kämpfe gerinnen zu Abziehbildern. Klein, grob konturiert, perspektivisch zweifelhaft, treiben sie in großen monochromen Farbflächen und behaupten verloren ihren Kunstcharakter. Nassar unterlegt seinen einfarbigen Karten ganzer Kontinente Strahlenaureolen und Windrosen. In der Reduzierung auf eine Farbe und eine geschlossene Form, mit der die Kultur und Geschichte eines ganzen Kontinentes abstrahiert und zusammengefaßt wird, treibt er die Komplexität visueller Zeichen auf die Spitze. (Galerie Nalepa)

Doch nur die Konturen eines Kontinents zu kennen, bedeutet oft, ihm wie einem verschlossenen Block gegenüberzustehen. Die „Art Brasil“, noch über das Goethe-Institut, die Galerien von Rudolf Schön, Michael Schultz und Eva Poll verstreut, entgleitet in ihrer Vielfalt am Ende einem kontinuierlichen Interesse. Der Katalog, im Text beschränkt auf Grußworte, einen langweiligen Kommentar und je eine Abbildung zu jedem Künstler, erfüllt nur die Funktionen eines informativen Prospekts. Das Anliegen der Deutsch -Brasilianischen Kulturellen Vereinigung, über die Kultur Wege in den anderen Kontinent zu öffnen, bleibt ohne die Möglichkeit einer Einbettung in kultursoziologische Hintergründe, ohne die Auffächerung der regionalen Unterschiede, der Überlagerung alter und importierter Kulturen an der Oberfläche.

Katrin Bettina Müller