Ein Balken vor dem Einfallstor

Neben Italien ist Spanien für Hunderttausende von Nordafrikanern die erste Station auf dem Weg ins reiche Europa / Nicht nur auf Druck der Europäischen Gemeinschaft verschärft die Polizei die Grenzkontrollen  ■  Aus Madrid Antje Bauer

Sie waren zu sechst, drei Südafrikaner und drei Ghanaer. Als die Polizei sie festnahm, hatten sie blutige Hände vom Rudern und waren völlig ausgehungert. Vor mehr als einem Monat seien sie von einem südafrikanischen Hafen an Bord eines zypriotischen Handelsschiffes gegangen, berichteten sie der Polizei. Der Kapitän habe sie nach zwei Wochen in einem Schlauchboot in der Nähe von Gran Canaria ausgesetzt, danach seien sie zehn Tage lang auf die Küste zugerudert. Zwei ihrer Weggefährten starben dabei an Unterernährung, die warfen sie ins Meer. Für die anderen sechs endete die Reise ins reiche Europa am Strand von Gran Canaria, wo die Polizei sie aufgriff und wegen illegaler Einreise festnahm.

Dies ist nur der jüngste Fall in einer langen Reihe von Versuchen von Schwarz- und Nordafrikanern, der Armut im eigenen Lzu entfliehen und ihr Glück in dem Land zu suchen, das ihrem Kontinent am nächsten liegt: Spanien. 25.000 Ausländer sind nach Schätzungen der spanischen Polizei 1988 illegal ins Land eingereist, fast ebensoviele wurden an der Grenze sofort wieder abgeschoben. Die große Mehrheit von ihnen sind Marokkaner, die sich die Tatsache zunutze zu machen versuchen, daß Tausende Kilometer Küste nur schwer zu überwachen sind. Viele bezahlen diese Reise in Richtung Norden nicht nur mit hohen Bestechungssummen an den Kapitän, sondern außerdem mit ihrem Leben: die „Toten der Meeresenge von Gibraltar“ haben inzwischen traurige Berühmtheit erlangt. Dutzende Ertrunkener, die an die andalusische Küste angeschwemmt werden, nachdem ihre waghalsige Fahrt zu zwanzig in einer Nußschale an einer Felsklippe geendet war. Die anderen, denen die unkontrollierte Einreise gelungen ist, verteilen sich. Einige fahren weiter, nach Frankreich, wo es immerhin eine gut ausgebaute Infrastruktur von Nordafrikanern gibt, nach Italien oder in die BRD. Die übrigen ziehen entweder nach Katalonien, wo sie für Hungerlöhne auf den Plantagen arbeiten, oder in die Gegend von Alicante, wo sie bei sechzig Grad Hitze in Glashäusern Tomaten ernten.

Viele ziehen nach Madrid. Leben in Slums außerhalb der Stadt und verkaufen tagsüber Geschmeide aus Blech, Halstücher und Gürtel in U-Bahngängen, öffentlichen Parks und Fußgängerzonen. In einem Land mit 18 Prozent Arbeitslosigkeit ist es schwer, einen Job zu finden, und wenn das gelingt, dann sicher ohne Arbeitsvertrag und weit unter dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von etwa 1.000 DM! Eine Reihe von ihnen handelt schließlich mit Drogen, um sich über Wasser zu halten.

Mehr als 300.000 Ausländer leben nach Schätzungen der katholischen Sozialhilfeorganisation „Caritas“ ohne gültige Papiere in Spanien, davon sind etwa ein Drittel Marokkaner, gefolgt von Portugiesen, Philippinos, Schwarzafrikaner. Das einstige Auswandererland, das seit der Vertreibung der Araber vor Jahrhunderten keine größeren Ausländergemeinschaften mehr beherbergt hatte, beginnt erst in den letzten Jahren, auf die neue Einwanderungswelle zu reagieren - zum größten Teil negativ. Den „Moros“ werden keine Wohnungen mehr vermietet, so daß die Marokkaner ganz zwangsläufig in Slums ziehen müssen. In den Städten haben sie zu vielen Kneipen keinen Zutritt. Im Frühjahr vergangenen Jahres wurde die spanische Öffentlichkeit von ihrer festen Überzeugung abgebracht, es gebe in ihrem Land keinen Rassismus, als Jugendliche in einem katalonischen Dorf versuchten, einen jungen Afrikaner anzuzünden.

Die Mitglieder eines afrikanischen Zentrums klagen, die Nachbarn würfen schon benutzte Damenbinden und stinkende Fischreste in ihren Hinterhof. Die Staatsgewalt tut das Ihre, um den Rassismus zu schüren; da sich ein kleiner Teil der Ausländer dem Drogenhandel widmet, müssen Farbige, zumal in Barcelona, stets gewärtig sein, auf offener Staße angehalten und abgetastet zu werden und teilweise sogar die Hosen herunterzulassen. Auch das Fernsehen habe die fatale Angewohnheit, schimpft ein Caritas-Mitarbeiter in Madrid, von zehn Festgenommenen immer just den einen Farbigen ins Bild zu rücken.

Bis 1985 hatte Spanien gar kein richtiges Ausländergesetz das Problem hatte sich nie gestellt. Als die massive Einwanderung Anfang der achtziger Jahre begann, hatten die Behörden daher zunächst nicht weiter reagiert. Doch die EG, der Spanien 1986 beitrat, befürchtete, das Land könne zum Einfallstor für arbeitssuchende Einwanderer werden, die Spanien nur als Durchgangsland auf der Suche nach besseren Chancen benutzen würden. Ein Jahr vor dem EG-Beitritt verabschiedete die sozialistische Regierung ein Gesetz, das den Aufenthalt der Ausländer im Land regeln sollte. Gleichzeitg wurde eine Amnestie für diejenigen erlassen, die illegal im Land waren, und eine Zeitspanne anberaumt, innerhalb derer sie ihre Situation legalisieren konnten. Die Maßnahme erwies sich als Fehlschlag: Die einen gingen nicht nur zur Polizei, weil sie dem Laden nicht trauten, die anderen erfuhren erst gar nichts von der Maßnahme. „Nur diejenigen, die Geld hatten oder sozial besser standen, haben die Amnestie genutzt“, kritisiert Rafael Guardo von der Ausländerorganisation COMRADE.

Inzwischen sind die Zeiten härter geworden. Die EG übt Druck aus, damit Spanien die Kontrollen verstärkt, und das neue Gesetz bietet die Möglichkeit, gegen sich illegal aufhaltende Ausländer rabiat vorzugehen. Die Polizei nützt das aus - über Gebühr, wie die Caritas findet: denn manche werden sehr frühzeitig bereits an der Grenze per Schiff abgeschoben, ohne auch nur einen Richter gesehen zu haben. Nicht nur die Grenzkontrollen sind schärfer geworden, auch Razzien werden häufiger durchgeführt. Im vergangenen Jahr baute das Innenministerium zwei zusätzliche zu den bereits bestehenden vier Abschiebeknästen für Ausländer. Manche werden auch sehr frühzeitig und nachhaltig an der Einreise gehindert: Einige derer, die an der andalusischen Küste tot angeschwemmt wurden, hatten Schußwunden, und Anwohner berichten von nächtlichen Auseinandersetzungen mit der Küstenwache...