„Deutscher? Berlin? Ich liebe die Deutschen!“

■ Bei der Feier zum 45. Jahrestag des Kriegsendes finden sowjetische Kriegsveteranen nichts Schlimmes an der Wiedervereinigung / Nur eine Minderheit hegt Befürchtungen: „Und dann wollen sie auch noch Königsberg wiederhaben!“

Moskau (taz) - „Ich bin mit ganzem Herzen für eine Wiedervereinigung der Deutschen. Deutsche gehören zu Deutschen“, meint der 77jährige sowjetische Ex-Major einer Panzereinheit am Rande der Moskauer Parade zum 45. Jahrestag des Sieges über den Faschismus. Zufällig sprach ich ihn auf dem Moskauer Majakowskij-Platz an. „Deutscher? Berlin? Ich liebe die Deutschen! Interview? Koneschno, natürlich!“ Befürchtungen, ein vereinigtes Deutschland könnte erneut zu einer aggressiven Kraft heranreifen, hegt er nicht. „Es ist etwas Natürliches, daß die künstliche Spaltung eines Tages überwunden wird.“ Die Reaktion dieses Majors, der Deutschland nur aus dem Kriege kennt, ist keine Einzelerscheinung in der Sowjetunion. Es muß beschämen, mit welcher Nachsicht die Bevölkerung, jung und alt, den Deutschen heute begegnet.

Galina Petrowna, eine 75jährige ehemalige Sanitäterin, denkt ähnlich. Auf ihrer ramponierten blauen Uniform hängen unzählige vaterländische Verdienstorden. Sie war in Stalingrad dabei. Auch sie, gebrechlich und auf einen Stock gestützt, ist sofort auskunftsbereit. „Was sollte ich gegen eine Wiedervereinigung haben? Eine Familie gehört zusammen, sie läßt sich nicht auf Dauer trennen.“ Ob sie nicht heute manchmal das Gefühl hätte, umsonst gelitten zu haben? Auch darauf antwortet sie mit bestechender Klarheit: „Wir haben für eine bessere Welt und nicht für die Teilung Deutschlands gekämpft. Bald wird die Welt anders aussehen.“

Selbst der Ein-Stern-General a. D., der den vorbeidonnernden Panzern zuschaut, spricht sich für eine Vereinigung aus. Allerdings sollte sie schrittweise vor sich gehen. Kommt der Rückzug der sowjetischen Truppen aus Osteuropa nicht einem Machtverlust der UdSSR gleich? Dem kann der General, der seinen Namen lieber nicht nennen will, nicht zustimmen. „Machtverlust auf keinen Fall. Denn es war immer Ziel der Militärs, die Spannung abzubauen.“ Seine Sprache ist diplomatisch, aber schnittig. Ein Abzug aus Deutschland wäre nur dann denkbar, wenn die anderen Alliierten mitzögen. Ansonsten hält er sich an Schewardnadses Vorschlag, die äußeren von den inneren Faktoren der Vereinigung abzukoppeln.

Nur einmal an diesem Vormittag äußert sich ein Veteran skeptisch zu den Entwicklungen in Deutschland. Der 83jährige Major Alexandrow befürchtet: „Erst vereinigen sie beide Teile, und dann wollen sie Königsberg zurückhaben.“ Er haßt die Deutschen nicht, liebt sie aber auch nicht.

Klaus-Helge Donath