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Kreml will Friedensvertrag

Fast zeitgleich mit Schewardnadses Vorschlag, die „inneren“ Aspekte der deutschen Frage von den „äußeren“ zu trennen, hat Gorbatschow die sowjetische Forderung nach Abschluß eines Friedensvertrags mit dem vereinten Deutschland wiederholt. Seine Rede am Vorabend der Siegesfeiern zum 9.Mai präzisierte den Minimalgehalt des Vertrages: Der militärische Status Deutschlands muß festgelegt, seine Stellung in einer gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur muß umrissen, seine Verpflichtung, die Grenzen als unverletzbar anzuerkennen, muß festgeschrieben werden. Gorbatschow vermied in der Stunde der Erinnerung an den Triumph jede Demonstration der Härte. Der Friedensvertrag dürfe Deutschland nicht diskriminieren, die Würde der Deutschen nicht angetastet werden. Ein neues Versailles sei unangebracht. Mit diesen Kautelen will Gorbatschow den Eindruck vermeiden, dem geeinten Deutschland sollten einseitig Verpflichtungen auferlegt werden, die seine Souveränität auf Dauer einschränkten. Von wem und wann der Vertrag abgeschlossen werden soll, ist aus Gorbatschows Festansprache nicht zu entnehmen. In den fünfziger Jahren, als die Sowjetunion mit dem Vorschlag des Friedensvertrags die Neutralität Deutschlands und die Begrenzung seiner Rüstung verband, wären die Vertragspartner die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs kraft ihrer Verantwortung „für Deutschland als Ganzes“ gewesen. Ende der fünfziger Jahre wollte Chrustschow die „Berlin-Frage“ durch einen einseitigen Friedensvertrag lösen. Partner wäre die DDR gewesen. Im letzten Moment scheute die Sowjetunion vor den Risiken dieses Schritts zurück. Sie beließ es bei ihrem Einverständnis zum Mauerbau.

Wie will die Sowjetunion sichere Garantien dafür erlangen, „daß Aggressionen Deutschlands nie wieder stattfinden“, ohne Deutschland einseitige Verpflichtungen aufzuerlegen? Das geht nur, wenn die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) zum vertragsschließenden Gremium wird. Die 4+2-Konferenz würde in diesem Fall die Deutschland betreffenden Dokumente aushandeln, alle europäischen Staaten im Rahmen einer Helsinki-II-Konferenz müßten sie annehmen. Auf dieser Konferenz wäre nach den Vorstellungen der CSFR und Polens ein europäischer Grenzanerkennungsvertrag ebenso abzuschließen wie ein multilaterales Abkommen, durch das eine europäische Sicherheitsbehörde mit Überwachungs- und Kontrollrechten eingerichtet wird. Vieles spricht dafür, daß die Sowjetunion den KSZE-Rahmen favorisiert. Vertragliche Vereinbarungen mit allen 101 Staaten, die gegen Nazi-Deutschland Krieg geführt haben, sind schon deshalb unsinnig, weil diese sämtlich den Kriegszustand mit den beiden Deutschland für beendet erklärt haben und keine aus der Kapitulation des Dritten Reichs herleitbaren Rechte haben. Es bleibt aber die Frage der Reparationsforderungen, die im Falle eines Friedensvertrags wieder aufleben, oder, von Albanien etwa, überhaupt erst gestellt werden könnte. Die Rechtsposition der Gläubiger würde sich natürlich verschlechtern, wenn sie nicht im Rahmen eines KSZE-Abkommens geltend gemacht werden könnte.

Gorbatschows Forderung nach einem Friedensvertrag deckt sich mit dem, was er schon 1987 in seinem Perestroika-Buch als äußeren Aspekt der deutschen Frage bezeichnet hat. Im Gegensatz zu den Konservativen um Ligatschow, die eindringlich „vor der Verschlingung der DDR“ warnten, hat Gorbatschow den „inneren“ Aspekt der deutschen Frage zu einer Sache des Selbstbestimmungsrechtes erklärt. In dieser Unterscheidung liegt etwas Künstliches, sie gibt der Sowjetunion aber ein Minimum an Manövrierfähigkeit. Das Problem besteht darin, daß über die Grenzen und über die Einhaltung eingegangener Verpflichtungen leicht Einigkeit hergestellt werden kann, nicht aber über das dritte Element der „äusseren“ deutschen Frage - dem militärischen Status. Das Helsinki-II-Abkommen kann auch nur die ersten blockübergreifenden Strukturen etablieren, nicht aber die Blöcke selbst auflösen. Da sich aber nach Auffassung des Westens erst mit der Blockauflösung die Nato-Mitgliedschaft Deutschlands erledigt, kann die Sowjetunion nicht alles auf die Helsinki-II-Konferenz setzen. Die Forderung nach dem Friedensvertrag ist das Produkt dieser mißlichen Lage.

Christian Semler

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