„Fragen Sie in einem Monat noch mal nach“

Neue Medienverordnung soll Pressevertrieb in der DDR regeln / Grossisten müssen Sitz in der DDR haben / Eine Registrierung ist notwendig Bei Verstößen droht den Betroffenen Zwangsgeld / Medienminister Müller hat Schwierigkeiten, sein Gesetz in der Praxis umzusetzen  ■  Aus Berlin Ute Thon

Westdeutsche „Drücker„-Kolonnen überfallen ahnungslose DDR -Haushalte und schwatzen den überraschten Hausfrauen die Zeitschriftenabbonnements gleich im Dutzend auf - ohne Kündigungsklausel versteht sich. Der Bäcker von nebenan verkauft neben den Schrippen jetzt auch die Springerpresse. Westdeutsche Großverlage unterlaufen mit Lkw-Lieferungen ihrer Druckerzeugnisse das Vertriebsmonopol der DDR-Post. Solchen „unerwünschten Nebenerscheinungen“ der neu gewonnenen Medienfreiheit will Gottfried Müller in Zukunft einen Riegel vorschieben.

Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat der Minister für Medienpolitik gestern eine Verordnung über den Vertrieb von Presseerzeugnissen in der DDR vorgelegt, die am 16. Mai in Kraft treten soll. Der neuen Verordnung zufolge dürfen Presseerzeugnisse nur durch den Postzeitungsvertrieb sowie durch private Pressegrossisten, die ihren Firmensitz in der DDR haben, vertrieben werden. Wer in Zukunft Zeitungen in der DDR verkaufen will, muß dies spätestens bei Beginn des Vertriebs dem Minister für Medienpolitik anzeigen.

Presseverlagen, ob Ost oder West, will Müller denn Vertrieb gänzlich untersagen: „Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit ganz oder teilweise im Verlag von Zeitungen und Zeitschriften besteht, dürfen sich weder mittelbar noch unmittelbar mit dem Großhandel beschäftigen oder sich an Unternehmen, die einen solchen Großhandel betreben, beteiligen“, heißt es in der Verordnung. Nur in Ausnahmefällen will das Ministerium diese Wettbewerbsschutzklausel aufheben, nämlich dann, „wenn in einem Territorium der Vertrieb von Presseerzeugnissen nicht bedarfsdeckend gewährleistet ist“. Abonnementverträge müssen mit einem Widerrufsrecht verbunden sein. Bei Mißachtung dieser Grundsätze droht den Betroffenen ein Zwangsgeld bis zu einer Höhe von 500.000 Mark (Ost).

Wie der Minister die Verordnung in der Praxis allerdings durchsetzten will, ist ihm und seinen Mitarbeitern noch nicht ganz klar. „Fragen Sie uns das mal in einem Monat“, antwortete er verblüfften Verlagsvertretern, die nun um ihre grenzenlosen Absatzschancen bangen. Ob er denn wisse, wie lange es dauert, bis man in der DDR eine Gewerbekarte ausgehändigt bekommt, wurde der Medienminister auch gefragt. Denn der Freihandverkauf von Presseerzeugnissen, mit dem sich bislang Gemüsehändler und Blumenverkäufer mancherorts noch eine Mark dazuverdienen, soll in Zukunft nur noch mit einer entsprechenden Gewerbegenehmigung gestattet sein. Minister Müller weiß es nicht.

Auch über die Möglichkeiten der Vollstreckung einer Zwanggeldandrohung, beispielsweise im Falle eines uneinsichtigen West-Verlegers, der auch weiterhin seine Produkte im Eigenvertrieb auf den DDR-Markt bringt, ist man sich nicht im klaren. Solange, bis der DDR-eigene Pressevertrieb noch nicht vollständig gewährleistet ist, dürfen die Westgrossisten noch an der gängigen Praxis festhalten.

„Dann geht doch alles so weiter wie bisher“, war als resignierter Zwischenruf einer DDR-Kollegin zu vernehmen. Nicht ganz, denn in den künftigen Grossobereichen der DDR, etwa fünfzehn sollen es entsprechend der staatlichen Bezirke werden, wird die Post, die früher als alleiniger Grossist den gesamten Zeitschriftenvertrieb geregelt hat, ihr Monopol verlieren. In Zukunft werden die Kioske auch von privaten Pressegrossisten beliefert, die sich allerdings erst gründen müssen. Dabei ist die Einschränkung, daß sich der Firmensitz auf DDR-Gebiet befinden muß, schon jetzt kaum mehr zu rechtfertigen.

Als Schutz vor der Marktvereinnahmung durch westliche Großverlage gedacht, die durch ein noch vor den Volkskammerwahlen im Februar eingefädeltes Joint-venture -Unternehmen ihre Titel bislang selbst in der DDR vertrieben haben, weil die Post dazu offensichtlich nicht in der Lage war, verliert eine solche Klausel spätestens mit dem Vollzug der Wirtschafts- und Währungsunion ihren Sinn. Westliches Kapital ist schon jetzt kein Hemmnis bei der Gründung eines DDR-Vertriebs. Und solange, bis „die provisorischen Verhältnisse in einen geordneten Zustand überführt worden sind“, wie Medienminister Müller es sich wünscht, wird man auch weiterhin die 'Bild'-Zeitung auf dem Leipziger Hauptbahnhof am Blumenstand erwerben können.