BERLIN LIEGT IN EUROPA

■ Eine „Grundsatzdiskussion“ über die Deutsche Hauptstadt Berlin beim Architektur- und Ingenieur-Verein

Lag's an der abendlichen Schwüle oder war es das schwergewichtige und vorgekaute Thema, das die Diskussionsteilnehmer am Mittwoch abend so müde aussehen ließ? Der Wunsch jedenfalls des Gastgebers und Vorsitzenden des Architekten- und Ingenieur-Vereins zu Berlin (AIV), Jürgen Fissler, man möge bei dem „aufdrängenden Thema Deutsche Hauptstadt Berlin“ eine lebhafte Grundsatzdiskussion führen, bei der alle Anwesenden „kräftig“ mitreden sollten, ging nicht in Erfüllung. Grund genug sich mit einem solchen Thema in die Öffentlichkeit zu stürzen gab es nach Fisslers Ansicht schon deshalb, weil die Fachleute bei der „Geheimniskrämerei des Regionalausschusses“ das miese Gefühl nicht loswürden, „es wird schon viel hinter den Kulissen gedacht und entschieden“, ohne daß sie daran beteiligt würden. Außerdem seien die zu diesem Thema bislang gelaufenen Veranstaltungen mit dem Mangel behaftet, „daß man zu sehr in das Detail einsteigt“, wie etwa die Diskussion um den Potsdamer Platz zeige. Es werde letztendlich „um bestimmte Filetstücke gerangelt, ohne die gesamte Regionalplanung zu diskutieren“, so Fissler. Außerdem kritisierte Fissler, daß „wir immer noch disparitätisch diskutieren“, was bedeute, daß bei Themen wie dem „Zentralen Bereich“ und „Hauptstadtplanung Berlin“ die Westberliner Architekten und Stadtplaner knallharte Vorgaben machen, zu denen die Ostkollegen nur noch nicken dürften.

Neben der „Ost-West-Plattform“, der Gruppe „9. Dezember“, dem Berliner Werkbund, dem BDA Berlin, der Berliner Architektenkammer, der Gruppe „Stadt Tor“, der Galerie Aedes mit Julius Posener als Geschütz und weiteren ungezählten Bünden steigt nun auch der AIV in die Hauptstadtdiskussion ein, in der Hoffnung noch zu stoppen, was nicht mehr zu bremsen ist. Unter dem Gesichtspunkt, die stadtentwicklungspolitischen Aspekte in den Griff zu diskutieren, plant man beim AIV innerhalb der nächsten drei Monate vier Veranstaltungen, die sich mit hauptstädtisch Grundsätzlichem, der Verkehrsplanung, der Stadtplanung und schließlich hauptstädtisch Endgültigem befassen werden. Dies alles soll mit Ost- und Westberliner Planern bzw. Beamten über die Bühne gehen.

Den Gefallen, Berlin als zukünftige Hauptstadt eines vereinten Deutschlands zu sehen, tat sich Michael Breuer, Staatssekretär beim DDR-Bauministerium, nicht. Als „zugelaufener Rostocker“ beobachte er hingegen „amüsiert, was aus Bonner Sicht das Hauptstadtgespräch angeht“. Nach dem 9. November hätte man beispielsweise die Planungen zum neuen Plenarsaal des Bonner Bundestages erst gestoppt, weil alles und jeder über einen Umzug nach Berlin nachdachte. Aber eben erst wäre der Architekt Günter Behnisch beauftragt worden, zusätzlich 170 Plätze in das Rund hinzuzuplanen. Da sei doch klar, „was da dahintersteckt und wer da sitzen wird“, schmunzelte Breuer. Außerdem habe sich Berlin als Hauptstadt in der Geschichte nicht bewährt. Darum, so sein Ausblick, könne Berlin nur zur „Drehscheibe Europas werden“. „Die Regierung soll regieren, wo sie will“, polterte Breuer.

Wesentlich konkretere Hauptstadtgedanken hegte sein Ost -Kollege, „Chefarchitekt“ Roland Korn. „Berlin wird Hauptstadt“, so seine Feststellung, denn das hätte er im Fernsehen alle Politiker sagen hören. Aus dem „Niemandsland“ West-Berlin sei nach dem 9. November ein planerischer Raum geworden, an dem sich neue feste „Bezugspunkte“ und „Perspektiven“ auftäten. „Beide Teile können sich zu einer neuen Metropole zusammenfinden“, sagte Korn, wobei baulich er denke da an den Pariser, Leipziger und natürlich Potsdamer Platz - „Signale und Zeichen gesetzt“ werden müßten. Ruinenträumern und Grünplanern erteilte Korn eine Absage, denn es sei Quatsch, den „Mauerbereich als ewige Linie oder als Parklandschaft zu belassen“. Dagegen werden „umfangreiche Aufgaben auf uns zukommen“: die Olympiade im Jahr 2000, ein riesiges „Verkehrskreuz“, der Bau von 300.000 Wohnungen und die intensive Nutzung von innerstädtischen Flächen für die Industrie. Korn dachte da an Daimler. Es gilt in die Hände zu spucken, so der Chefplaner und Ex -Plattenarchitekt.

Gar nicht einverstanden zeigte sich Beate Profe von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, als man sie in die stadtfeindliche parkfreundliche Traufhöhen -Ecke am Potsdamer Platz stellen wollte. Es sei nie die Position von Michaele Schreyer gewesen, Extreme zu vertreten, konterte sie: „Volle Verdichtung und alles Grün weg oder das Gegenteil kann es nicht sein.“ Es müsse vielmehr ein „ausgewogenes Verhältnis zwischen stark bebauten und freien Flächen gefunden werden“, so Profe. Damit hatte es sich mit der Ausgewogenheit. Statt dessen malte sie nach der Währungsunion das Großstadtgespenst von Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Sozialkonflikt an die Metropolenwand, daß einem angst und bange werden konnte und nur Bibelsprüche aus dem grünen Gebetbuch, sprich ökologisch, stadtverträglich, durchgemischt und nahverkehrt helfen werden. Alles sei „außerordentlich problematisch“, vieles „möglich“, man solle „vorhandene Kapazitäten nutzen“ und kein „isoliertes Regierungsviertel“ bauen. „Debatten führen“, bemerkte sie richtig, auch europäische.

„Im Umland herrscht ein Berlin-Haß“, faßte Günter Fuderholz von der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen seinen Beitrag zusammen. Darum, so der Planer, müsse man gehörig aufpassen, daß die Kommunen nicht ihr billiges Land an Investoren verscherbeln, die der Stadt- und Regionalplanung einen Strich durch die Rechnung machten: „Die werden mit Kampftarifen bei der Gewerbesteuer kommen.“ Wie Michael Breuer sieht Fuderholz gar keinen Anlaß zu einer Hauptstadtdiskussion, sondern hält sich lieber an pragmatische stadtbestimmende Kriterien wie die „wirtschaftliche Entwicklung“, die „neue Rolle bei der Verkehrsplanung und dem Wohnungsbau“ sowie an das Verhältnis „Berlin und sein Umland“, das Fuderholz, wie gesagt, die größten Sorgen bereitet, werde doch das finanzielle Gefälle auch ein soziales nach sich ziehen. Die Rettung für Berlin liege in Europa, schloß Fuderholz ab.

Als bei der „kräftigen“ Diskussion mit dem anwesenden Publikum immer wieder nach „größeren Denkrahmen“ für die Hauptstadtplanung gerufen und „Europa“ beschworen wurde, das scheinbar aus den anstehenden Problemen herausführen könnte, wagte sich doch einer mit seiner konkreten Angst vor: Er habe gehört, daß, wenn das so weitergeht, nach Schätzungen der Großraum Berlin auf rund 12 Millionen Menschen anwachsen werde, und wie das denn zu schaffen sei und alles. Darauf der Chefplaner in klassischer Manier: „Das sollte man politisch erst gar nicht zulassen.“ Das nächste Mal geht's über den Verkehr.

rola