Wo war Gerold?

■ Handball: Abstiegskandidat Milbertshofen auf Meisterkurs

München (taz) - Gerold war nicht da, wie blöd. Sonst aber waren 5.600 da, wie schön. Soviel Zuschauer hat Handball in München seit ewigen Zeiten nicht mehr erlebt. Die Rudi -Sedlmayer-Halle war fast voll besetzt, nur für Gerold wäre noch Platz gewesen. Nur, Gerold war verhindert, war auf einer „lange geplanten Auslandsreise“. Tja, Gerold, Pech gehabt, hättest den Einzug des TSV Milbertshofen ins Finale der deutschen Handballmeisterschaft erleben können, ansehen können, wie aus einem fast schon sicheren Abstiegskandidaten ein selbstbewußter Anwärter auf den Titel geworden ist, den auch der VfL Gummersbach im Halbfinale nicht stoppen konnte.

19:13 siegte Milbertshofen über den ehemaligen Vorzeigeklub hiesigen Handballs. Andreas Thiel, der Schlußmann weltweiter Angriffsbemühungen, war zwar nicht ganz einverstanden über die Art und Weise, wie sein VfL aus dem Play-Off flog, machte mehrfach eindeutige Gesten, die besagten, die Schiedsrichter seien bestochen, geändert hat das aber nichts. War wohl auch übertrieben. Gewiß war das Gespann Bußjäger/Hauck den Münchnern gegenüber nicht feindlich eingestellt, pfiff in der zweiten Halbzeit in entscheidenden Phasen lieber zugunsten des TSV Milbertshofen, wodurch die aus einem 10:11-Rückstand einen 17:11 Vorsprung machten. Dafür aber hatten sie im ersten Abschnitt mitunter Merkwürdiges auf der anderen Seite entschieden. Das aber hat Gerold nicht gesehen.

Ebensowenig wie die Begeisterung beim Präsidenten Ulrich Backeshoff, die sich anschließend in einer Grundsatzrede Bahn brach. „Vom Abstiegskandidaten im Dezember zum Vizemeister am 9. Mai“, betitelte der Herrscher über den TSV Milbertshofen sein Statement bei der Pressekonferenz. Man sähe ihn überrascht. Was, Gerold, allein schon das Kommen gelohnt hätte. Erfolg sei planbar, hatte Backeshoff immer gesagt, dies Motto seinen sportlichen Umtrieben vorangestellt, und nun hat er ganz außerplanmäßigen Erfolg.

Der sich noch steigern läßt, der vorzügliche Torwart Jan Holpert, die treffsicheren Angreifer Rüdiger Neitzel und Hendrik Ochel, die schnellen Außenstürmer Michael Sahm und Anton Stangl sowie der schlagkräftige Oleg Gagin, von dem der sowjetische Nationaltrainer Anatoli Jewtuschenko hinterher sagte, er habe sein bestes Spiel überhaupt gezeigt, die alle werden schon die Backeshoffschen Pläne, mal eben den Klasssenerhalt zu schaffen, über den Haufen schmeißen. Auch das hat Gerold verpaßt, einen perplexen, aber glücklichen Präsidenten.

Und auch Vlado Stenzel, der Mitte der Saison nach München kam, mit arg ramponiertem Image und längst schon vergessenen Meriten als Weltmeistertrainer von 1978. Die letzte Chance hat er ergriffen, der Handballwelt zu zeigen, daß er, nur er, der größte Trainer aller Zeiten ist. Hat Gerold auch nicht gesehen, mußte ja unbedingt ins Ausland reisen. Aber gedanklich war Gerold schon dabei beim großen Triumph des TSV Milbertshofen. Dafür im Ausland gehandicapt. „Ich drücke ihnen (den Handballern) aber beide Daumen, daß der Sieger und Finalist nach einem fairen Spiel TSV Milbertshofen heißt“, hat Gerold Tandler, der bayerische Finanzminister, in einem Begleitschreiben zum Stadionheft versichert. Für den TSV Milbertshofen hat das genützt und am Ende dann auch niemand gestört, daß der berühmte Tandler nicht persönlich anwesend war.

Helmut Schümann

2. Halbfinale: Großwallstadt - Lemgo 22:17 (1. Spiel 27:26). Großwallstadt im Finale gegen Milbertshofen.