Der Trick des Westens heißt: Teile und herrsche

■ Ina Merkel vom Unabhänigen Frauenverband in der DDR zu den sozialen Folgen der Einigung und dem Ergebnis der Kommunalwahlen / „Die Leute haben wie bei der Volkskammerwahl wieder das Geld gewählt“

taz: Du hast die Vermutung geäußert, daß sich die große Koalition in den Stadtparlamenten wiederholen wird, es also nicht zu rot-grünen Bündnissen zwischen SPD und BürgerInnenbewegung kommen wird. Warum orientieren sich die DDR-BürgerInnen wieder nur an den großen Parteien?

Ina Merkel: Daß sich das Wahlverhalten bei den Kommunalwahlen nicht radikal verändert hat, hat wieder mit dem Geld zu tun. Mit der Volkskammerwahl wurde die D-Mark gewählt. Nun werden wir die D-Mark bekommen, wenn auch unter Konditionen, die für die Opposition unannehmbar sind. Aber jeder kann sich jetzt ausrechnen, wie weit er sich die Sehnsüchte nach dem schnellen Auto, den schnellen Maschinen erfüllen kann. Dies sind für mich typische Männerwünsche. Über die alltägliche Reproduktion wird nicht nachgedacht. Es wird nicht beachtet, daß die Preise sich verdoppeln und verdreifachen werden und man seine einfache Reproduktion nur mühsam absichern werden kann. In der Bundesrepublik gibt es, ebenso wie hier, eine CDU-Regierung. Es wird also davon abhängen, was diese CDU-Regierung für die Kommunen an Geldern vor- und rüberschießt. Obwohl die Stimmung im Lande offenbar nicht gut ist, wirkt sich dies aber nicht gegen die CDU aus. Aus Gesprächen in den Dörfern der Umgebung Berlins oder auch oben an der Küste höre ich heraus, daß eigentlich alle Leute Angst um ihre Existenz haben. Sie beobachten, wie ihre Gegenden zu strukturschwachen Bereichen werden. Sie sehen keine Perspektive mehr für sich und richten sich auf ein Leben in Arbeitslosigkeit ein. Sie sehen aber auch keinen Ausweg, keine Alternative. Ein Problem ist, daß die nichtkonservativen Parteien keine alternativen Wege in ihren Programmen aufzeigen, sondern nur Verzögerungsstrategien zugunsten der Lösung sozialer Fragen fahren.

Bleiben die „betrogenen RevolutionärInnen des Oktobers“ hierzulande bei Kerzen und „Dona nobis Pacem“ oder werden sie radikal?

Ich denke schon, daß sie sich in einer bestimmten Weise radikalisieren müssen. Die Opposition muß sich radikalisieren, wenn sie sich Geltung verschaffen will. Sicher wird es, so wie es sie immer gegeben hat, auch Anarchisten geben. Aber ich glaube nicht, daß dies in irgendeiner Weise bestimmend sein wird für die Opposition. Im Gegenteil, ich glaube, daß der friedliche Protest vermutlich wieder Massenwirksamkeit erlangen wird.

Wenn jetzt die Menschen in der DDR massenhaft arbeitslos werden, könnte es doch für die CDU bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen im Herbst schlecht ausgehen? Könnte es zu einem heißen Herbst kommen?

Nein, der Trick ist anders. Der heißt: Teile und herrsche. Teile die Bevölkerung in Leute, die ihren Vorteil davon haben werden und in Leute, die nichts abbekommen werden vom großen Kuchen.

Zunächst aber brauchen die Konservativen vor allem Stimmen für die nächste Wahl und dafür müssen ein paar Bonbons gereicht werden.

Ja, aber du siehst, wie in der Bundesrepublik gewählt wird. Und - trotz Arbeitslosigkeit, Mietpreiserhöhungen, trotz des programmierten sozialen Abstiegs scheint unser Alltagsleben besser zu sein als vorher. Ich kann mir eben meinen Joghurt mit Erdbeeren kaufen, meine Bananen, die Jeans. Hier wirkt die Fiktion einer bürgerlichen Gesellschaft, alle hätten die gleichen Chancen und bräuchten sich nur richtig zu kümmern. Und am Ende muß ich mich fragen, was habe ich denn falsch gemacht. Dann ist es mein persönliches Versagen, nie das Versagen der Gesellschaft. Die Erklärungsmuster der bürgerlichen Gesellschaft sind vorgebildet und werden einfach übernommen. Der Prozeß der deutschen Einheit wird auf der anderen Seite zu wahnsinnigen Gewinnen für bestimmte Industriezweige in der Bundesrepublik führen, besonders in der mittelständischen Industrie, die in der BRD keine Expansionsmöglichkeit hat.

Was können die Frauen, der UFV in den nächsten Wochen, Monaten, auch Jahren noch bewirken?

Ich denke, daß der UFV sich entscheiden muß, ob er in erster Linie eine Interessenvertretung für soziale Belange, für Frauenbelange sein will, oder ob er wirklich eine Organisation sein will mit einem übergreifenden politischen Anspruch. Dann müßte er ein klares konkretes Gesellschaftskonzept haben, um bei allen Fragen des gesellschaftlichen Lebens mitreden zu können. Dieser Anspruch, der am Anfang mal formuliert worden ist, scheint mir in letzter Zeit ein wenig verlorengegangen zu sein. Dies hat damit zu tun, daß wir den sozialen Fragen ständig hinterherrennen und es beliebt ist, diese auch an die Interessenvertretung von Frauen zurückzuverweisen. Die soziale Frage wird an die Frauenorganisationen abgegeben. Sie sind immer wieder dafür zuständig, die sozialen Netze und psychologischen Auffangmechanismen für Frauen bereitzuhalten, die dem sozialen Abstieg preisgegeben sind. Man kann sich also überlegen - dies ist in der Frauenbewegung nicht ausdiskutiert - ob sich der Verband mehr als eine Organisation versteht, die sozio-kulturelle Netze für Frauen bereithält, was ich für legitim halte, und auch einen politischen Anspruch hat oder, ob der Verband zuallererst eine politische Organisation sein will.

Ich denke, daß sich in Zukunft die verschiedenen BürgerInneninitiativen und -bewegungen vermischen werden. Sie haben, obwohl sie alle eine unterschiedliche Nuance in ihrem Politikverständnis haben, im Grundverständnis die gleiche Vorgehensweise. Ich finde es nach wie vor bedauerlich, daß es auch bei diesen Wahlen nicht zu einer Art BürgerInnenforum, einem Zusammenschluß aller Bewegungen gekommen ist. Ich denke, daß eine politische Entwicklung in dieser Richtung abzuwarten bleibt, und daß die Frauenbewegung ihr Profil dort stärker ausprägen sollte. Gerade, weil, wie es sich erwiesen hat, ihr Mitspracherecht in den Kommunen, den Gemeinden, in der Gesamtpolitik immer wieder bestritten wird. Die Mitarbeit an den Runden Tischen hat gezeigt, wie wichtig in politischen Fragen der Konsens mit den BürgerInnen ist. Die vierte Gewalt, die Öffentlichkeit, steht uns nicht mehr so zur Verfügung. Im Gegenteil, Frauen kommen nach wie vor nicht vor. Es gab mal einen kurzen Umbruch, dies ist alles weg. Jetzt müssen wir die Chance nutzen und mit eigenen Frauenprojekten an die Öffentlichkeit treten, mit einem eigenen Frauenmagazin, mit Frauencafes, -häusern, -zentren. Wir müssen mit einer Frauen -Sozio-Kultur unsere eigene Öffentlichkeit schaffen. Das muß unser Standbein werden. Das Interview führte Marink

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