Pegasos im Fitneß- Center

■ „Pro Musica Nova“ eröffnet / Lauschen & Staunen: Alphorn, Blumentopf und Video

Als am Donnerstagmorgen bei Radio Bremen eine Flasche Sekt in Scherben ging, da hatte das bereits Symbolwert. Ein Ritual, sonst Schiffstaufen vorbehalten, galt einem schwarzen Konzertflügel - von nun an Pegasos. Allzeit gute Fahrt? - Nein, noch besser: guten Flug, denn es war der Beginn von Ingo Ahmels‘ Pegasos-Projekt durch die Bremer Innenstadt, gleichzeitig der Auftakt zur 16. „Pro Musica Nova“: ein Flügel freischwebend an Ketten und Haken eines Kranwagens.

Doch was nun mit dem so traktierten Möbelstück des bildungsbürgerlichen Wohnzimmers? Tagsüber läßt es aus seinem Bauch die staunenden BremerInnen traditionelle Musik hören (von Walfischgesang bis zur Gruftmusik Air von Bach reicht das Repertoire). Dann wird das

Möbel publikumswirksam den Weserfluten übergeben. Gewirrtraum

Abends träumt Pegasos einen progressiven Teil Zwei. Der Anfang ist eher Streß als Traum für die ZuhörerInnen in den Weserterrassen: ein Gewirr von Videos, Geräusche zirpen unverträglich in der Luft, Bekanntes klingt merkwürdig verfremdet, die Augen lenken die Ohren ab und umgekehrt. Reizüberflutung, durchaus zeitgemäß, im Konzertsaal?

Badewanne

Ahmels, der in seinem Projekt die menschliche Wahrnehmung aktivieren will, scheint das Publikum in eine Art audio -visuelles „Fitness-Center“ zu schicken. Umso erstaunlicher die unvermittelte Konzentration auf eine Bade

wanne, der als Weltengöttin die Sopranistin Toni Sellers entsteigt. Nicht ohne Komik, die „ernste Musik“ .

Wenn diese dann noch neu ist, spätestens dann ist sie für die einen ein rotes Tuch ob der schrägen Klänge, für die anderen Balsam in zwölftongeschulten Ohren - für Ingo Ahmels scheint sie eine Herausforderung zu sein, die beiden Seiten miteinander zu versöhnen. So scheut er Gegensätze nicht, spürt im Gegenteil gerade ihre bizarren Wirkungen auf: Die Sopranistin, die zu mozartesken Requiemklängen lautstark Karotten kaut, „Ewige Ruhe gib Ihnen, Herr“, gleich danh avantgardistische Spitzentöne anzustechen, der Schlagzeuger Matthias Kaul, dessen percussiver Umgang mit tönernen Blumentöpfen ange

sichts der High-Tech-Installa tionen im Saal der Weserterrassen etwas rührend Elementares hat - ganz zu schweigen vom Alphorngepfurze (Christoph Grund) hinein in die einst so andachthei schende „ernste Musik“. Aus der Traum?

Im Gegenteil. Pegasos ist staunendes Lauschen und lauschendes Staunen in einem - denkbar günstige Voraussetzungen zum Musikhören. Was macht es da, daß Schuberts „Wohin“ und Brahms‘ Intermezzo zu ungewohnten Störmanövern werden...

Ulrike Brennin

Das Konzert „Pegasos Traum“ wird wiederholt, und zwar am 13.5. um 17 Uhr, am 14. und 15.5. jeweils um 20 Uhr; immer im BGH Weserterrassen