Vier Königinnen, eine Nacht (der Stimmen)

■ „Nacht der Stimmen“ aus Banalore/Indien, New York, und aus Conakry/Guinea / Gespräch mit vier Sängerinnen aus drei Kontinenten

Jede Kultur hat ihre klassischen Gesangsformen. Und heute in der Schauburg, in der „Nacht der Stimmen“, da werden außergewöhnliche Sängerinnen aus vier sehr unterschiedlichen Musikrichtungen aufeinandertreffen. Daß dieses Konzert ohne weiteres neben avantgardistischen Tönen ins Programm von „Pro Musica Nova“ paßt, begründet die amerikanische Jazzsängerin Jeanne Lee sehr einleuchtend: „Das Neue liegt bei uns in der Art der Interpretation. Wir kommen alle aus starken Traditionen, aber wir gehen sehr individuell an diese klassischen Musikformen heran.“

Ganz neu wird bestimmt das gemeinsame Singen im Anschluß an die einzelnen Sets sein, auch für die Sängerinnen selbst, die sich am Donnerstag nachmittag für unser Gespräch im Hotel zum ersten Mal getroffen haben: R.A. Rama Mani aus Banalore in Indien, Jeanne Lee aus New York, Sona und Sayon Diabate aus Conakry, Guinea - keine weiß so recht etwas von der Musik der anderen. Aber alle sind zuversichtlich, in der Musik einen gemein

samen Nenner zu finden: „Es ist schwerer miteinander zu reden als zu singen. Worte vermitteln immer separate Konzepte, aber die Musik kommt aus dem Herzen“, sagt Jeanne Lee.

Auch für Sona und Sayon Diabate ist es weiter kein Problem, daß die europäischen ZuhörerInnen die Texte ihrer Lieder nicht verstehen, obwohl die Lieder in der Tradition der Griots stehen, die mit ihren Gesängen Geschichten erzählen und Nachrichten übermitteln: „Wir können viel von der Bedeutung der Lieder durch unsere Körpersprache und die Stimmungen der Musik deutlich machen. Auch in Guinea singen wir in so vielen verschiedenen Sprachen und Dialekten, daß nicht immer jeder alles verstehen kann.“ R. A. Rama Mani singt die klassische Musik Südindiens, aber sie hat auch schon, erzählt sie, mit Jazzmusikern wie Charlie Mariano und Ursula Duziak zusammengearbeitet.

Bald verliert sich im Gespräch die anfängliche Distanz. Und dann klingen die Sängerinnen wie Handwerkerinnen, die die glei

chen Werkzeuge benutzen und neugierig auf die Techniken der anderen sind. In welchen Tonlagen singt die andere? Improvi

siert sie? Und wie wichtig sind die festgesetzten Noten, werden sie abgelesen oder auswendiggelernt? Bald singt Rama Mani ein

rhythmisches Fragment vor. Und Jeanne Lee versucht, ihre Musik zu erklären, findet den Satz: „Ich bin eine Poetin. Für mich bedeu

tet singen, die Lyrik mit Leben zu erfüllen.“

Rama Mani, die, wie Jeanne Lee auch, nebenbei unterrichtet, fragt, was denn Sona und Sayon für eine Ausbildung hätten. Die Antwort braucht gar nicht aus dem Französischen übersetzt zu werden, denn bei dem Wort „Papa“ nicken die anderen Frauen heftig. Und nun stellt sich heraus, daß sie alle etwas gemeinsam haben: den Grund, warum sie Sängerin wurden. Alle kommen aus Musikerfamilien, alle haben Väter, Mütter, Onkel, Tanten und Cousins , die Musik machen. Jeanne Lee erzählt: „Ich habe mich nie entschieden, Musik zu machen, ich habe schon immer gesungen.“ So klingt auch ein Satz von Sonja Diabete plötzlich nicht mehr nur platt: „Wir Künstler gehören alle zur gleichen Familie“.

Die Frauen treffen sich heute zum ersten Mal. Morgen singen sie zusammen, ohne Proben. Willy Tau

„Nacht der Stimmen“, Sa. 23 Uhr, Schauburg