„Katharina wird das Jahr 1995 nicht mehr sehen“

■ Podiumsdiskussion mit Zürichs Verkehrsberuhiger in der Schauburg / „Stadt statt Auto“ und der Bausenator will erstes Parkhaus schließen

„Auch ich bin mit einer Sicht durch die Windschutzscheibe in die Politik gegangen“, bekennt Ruedi Aeschbacher, seit 12 Jah

ren vom Volk gewählter Stadtrat in Zürich. Jetzt gilt Aeschbacher als konsequentester Verfechter von Verkehrsberuhigungskon

zepten, die den Individualverkehr aus der Stadt verdrängen, den Öffentlichen Personennahverkehr dagegen fördern. Beirat und Orts

amt Mitte/Östliche Vorstadt hatten Aeschbacher zu einer Podiumsdiskussion mit Bremer Verkehrsexperten eingeladen. Mit

ihm debattierten: Bausenator Kunick, Klaus Hinte, Verkehrsbeauftragter des Innensenators, von den Bürgerschaftsfraktionen Reinhard Barsuhn (SPD), Helmut Pflugradt (CDU), Irmgard Jahnke (Grüne), Heinrich Welke (FDP), sowie Herbert Felz von der BSAG und Hermann Krauß von der Handelskammer und BewohnerInnen, Inis und Kaufleuten aus Stein- und Ostertor.

Aeschbacher, Eisenbahnersohn und einstiger Besitzer von zwei Ferraris, ist inzwischen überzeugter Velo- und Tramfahrer. „Man muß es den Automobilisten schwer machen“ erläutert der Stadtrat seine Devise. Seit vier Jahren kursiert in Zür'cher Amtsstuben das „Blaubuch“, die „Bibel zur Verkehrspolitik“ der Stadt, wie sie in Bremen seit letztem Sommer in grün vorliegt, als „Öffentlicher Personennahverkehr - Konzept 1989“. Für Zürich lautet die Philosophie: Mobilität in der Stadt - grundsätzlich ja, denn in einer Stadt sind viele Transporte von Menschen und Waren notwendig. Allerdings: Man muß sie möglichst umweltgerecht und stadt-und menschenschonend durchführen.

Anfangs hatte Zürichs Verkehrskonzept nur drei Standbeine: Ausbau und Attraktivierung des ÖPNV-Systems, Konzentration des Hauptverkehrs auf Hauptverkehrsachsen und Verdrängung von Schleichwegfahrern und Parkern aus den Wohnquartieren sowie die Erhöhung von Treibstoff- und Parkgebühren. Trotzdem sei die Mobilität gestiegen, seien die Limiten für Schadstoffe an etlichen Orten der Stadt weit überschritten worden. In der Diskussion darum, wieviel eine Stadt und ihre Menschen an Lärm- und Luftbelästigung ertragen müssen, entstand ein Umweltgesetz, besagtes Blaubuch und die 4. Säule Zürcher Verkehrspolitik: Das Vorhaben, den Motorfahrzeugverkehr um min

destens 30 % zu reduzieren. Den ÖPNV fördern, heiße Konsequenzen in der Verteilung des Straßenraumes ziehen, betonte Aeschbacher vehement. Straßenrückbau sei unerläßlich. Und Gütertransport gehöre auf die Schiene.

Und da Aeschbacher so schön plausibel das Verkehrsbild seiner Stadt beschrieb, und außerdem der Fernsehfilm „Stadt statt Auto“ mit dem Horrorbeispiel Frankfurt und dem Musterbeispiel Bologna sämtliche Schauburg-BesucherInnen und Podiumsdiskutanten auf Anti-Auto-Trip eingestimmt hatte, verwischten sich die Konturen Bremer Verkehrsexperten in beinahe einheitlichem Bild: Kunick proklamierte den absoluten Vorrang von Bus und Bahn und daß BremerInnen zunächst vom Dritt- und Viert-wieder zum Erst- und Zweitwagen zurückgeschraubt werden müßten. Auf die Frage, welches Parkhaus er denn als erstes schließen werde, nannte er die „ungünstig gelegene Katharina, die das Jahr 1995 nicht mehr sehen“ werde.

Irmgard Jahnke nannte das grüne Ziel, bis ins Jahr 2.000 für Fußgänger, Fahrradfahrer, ÖPNV und Autos Viertelparität zu erreichen. Und Handelskammervertreter Krauß fordert Lösungen, die „das wirtschaftliche Leben nicht ausblasen“ in seinen Augen sind das Parkplätze für, wenn auch nicht in der Innenstadt - obwohl er eingangs ein begeistertes Bild von Zürich zeichnete. Reinhard Barsuhn verhieß Bremen einen „heißen Herbst“, da „wir aus der Phase der Diskussion heraus und in einer Übergangsphase des Handelns“ sind: Da im Herbst das Hinte'sche Konzept greife und der ÖPNV seine eigenen (schraffierten oder hochgepflasterten) Fahrspuren erhalte und der Individualverkehr seine erste Einschränkung erfahre.

ra