SEEMANNSSEHNSUCHT

■ Die „Band of Holy Joy“ im Loft

„Immer, wenn mir der Mißmut am Mundwinkel zerrt und nieselnder November in die Seele einzieht, wenn ich unwillkürlich vor den Fenstern der Sargtischler stehenbleibe und hinter jedem Leichenzug hertrotte (...), dann ist's für mich die allerhöchste Zeit, zur See zu gehen. So helfe ich mir, wo andere sich eine Kugel in den Kopf schießen.“ (Melville, Moby Dick)

In der Hitze der vergangenen Tage bleibt die Sonne hängen zwischen den Mauern, wird schalgelb, macht müde, nicht wie Bier, das leuchtend im Sommer abends immer erfrischt und belebt, sondern wie der Granninipfirsichsaft, den sowohl der Sänger von „King Candy“, der bundesdeutschen Vorgruppe, als auch Johny Brown, britischdemütiger Sänger der „Band of Holy Joy“, da vorne im Loft trinken. Nur ein paar Leute waren früh genug da, um „King Candy“ noch zu hören, harten, schrägen Rock, T.-Rex-Cover (Life is a Gas) mit Orgel, Stooges-Erinnerungen in den Neunzigern - aus den Jungs wird mal was werden -, dann war es schon vorbei und wieder einmal war die Vorgruppe schlecht abgemischt, nicht einmal aus Böswilligkeit, sondern weil die Mischpultbetätiger wohl erst warm werden müssen - auch die ersten Minuten der „Band of Holy Joy“ werden am Mischpult vergeigt -, wo ist die Posaune, man sieht sie doch?

Um im Sommer glücklich zu sein sind vielleicht hundert gekommen; das war nicht nur schade, sondern auch großartig, weil nur die da waren, die die Band lieben und so die besten Popgemeinsamkeiten demonstrierten, sich z.B. angrinsen konnten. Im Radio 100 wünschte sich die Band ein bunt gekleidetes Publikum, sie wünschten sich Blumen und waren selbst doch ganz in schwarz. Im Radio. Das käme aber nur, so sagten sie, weil sie sich noch nicht gewaschen hätten. Zwei von sieben waren abends immer noch in schwarz, der Sänger, Johny Brown, kam im Matrosenanzug von weiten Fahrten zu künden, denn überall wird es Freunde geben, die einen wie selbstverständlich aufnehmen werden. Demütig senkte er seinen kurzgeschorenen Kopf, „Ist er nicht süß“, sagen die Mädchen; warum denken sie so über begeisterte Sänger? Kommen „süße“ Männer ins Bett oder nur in den Himmel?

Bestimmend in heiliger Scheu sind immer noch Schifferklavier, Violine, Posaune, der große Kontrabaß. In erster Linie ist es jedoch die Stimme von Johny Brown, die in der schönsten Jahrmarktsgetümmelmusik, im unbedingten Hiersein immer einen sehnsüchtigen Raum offenhält, die Zeit danach, nach dem Jahrmarkt, nach dem Fest fordernd, als könnte es danach noch schöner sein, wenn schon lange die Lichter gelöscht sind, der Platz leer und einsam und still; wenn die Band gegangen ist, erinnern nur noch knirschende Plastikbecher an die Fröhlichkeit, in die hinein „the world's full of pain“ gesungen worden war. Trotzig hatte Johny Brown seinen Kopf geschüttelt; für seine Freundin würde er auf der Stelle und sofort tot umfallen. „I love you, you hate me“, begeistert griff er sich ans Herz. Und wenn der Jahrmarkt zu Ende ist, verlangt man nach anderem; „Riots“ forderte der vormals so Sanfte, und die Band spielt sehr merkwürdigen, sehr schnellen Rock'n'Roll, der Mann am Schifferklavier schüttelt verliebt sein Instrument, als wär‘ es eine Hardrocker-Gitarre. Lange müssen die Fans nach einem sehr kurzen Konzert rufen und brüllen und pfeifen, bis die „Band of Holy Joy“ wiederkommt - „You are so kind“. Das letzte Stück schickt die Leute nicht auf die Straße, sondern schließt sie ein in ihren hübschen Kummer. Denn von traurigen Dingen war am Ende die Rede, Weltschmerz trat in den Raum, die Geliebte kommt nicht wieder, und die Band geht. Der Keyboarder hat Geburtstag. Wir trinken Bier und keinen Saft.

Detlef Kuhlbrodt