BEGEGNUNGSSTÄTTE

■ „Art'otel Sorat“ kriegt zur Eröffnung einen Diskuswerfer von Vostell geschenkt

Zum 9. November hatte der Verdienstträger und schwerstoriginelle Hauptkünstler Vostell dem anschwellenden Volk ein Identifikationstafelbild gemalt, nun bedankt sich die Privatwirtschaft und bietet dem Genie ein Hotel, das dieser reichlich verhunzen darf. Das Genie verlangt jedoch nach Größe, das Hotel nach einem Vostellschen Schwellkörper. Gestern wurde der „Diskobol“, ein 2x2 Meter großer diskuswerfender Goldglanzheros, auf einer fassadenlangen Edelstahlsäule am Hoteldach festgeschraubt. Nun sticht das Männeken samt Scheibe als Wahrzeichen in das Profil des Straßenzugs der Joachimsthaler, „die Wirkung des Diskuswurfes schwillt an und nimmt plastisch das Ergebnis des gigantischen Wurfes voraus, als progressives, anschwellendes Motiv von gesteigerter Willenskraft“, verlautbart Vostell, der es „sehr mutig“ von den Hotelbesitzern findet, seine Figur dort oben aufzustellen. Zwischen Kränen, Yuppiepalmen, Häppchensplittern und Nostalgiekapelle wurde gleichzeitig offiziell der Schlüssel übergeben: “...A kiss is just a kiss...“, schwelgt der Gelatinetenor, aber Sam macht's nicht nochmal. Die 20 -Millionen-Investition Art-Hotel Sorat, Exklave zeitgenössischer Kunst mit seiner spiegelbewehrten blassen Fassade verträgt sich bestens mit der Spielhalle gegenüber.

Nicht „Aufhänger der Gemütlichkeit, Stätte der Begegnung“ will man sein, erläutert Eigentümerinnengatte Gädeke, ein protestantischer Hassemer, auf einer Pressekonferenz den Begriff „Erlebnishotel“, und das Geschäftsführerzwillingspaar Penz und Pleß nickt dazu. Erlebnishotel, das wolle sagen, daß „mehr dahinter steckt als Essen und Trinken und die gute Nachtruhe“. Zum Beispiel könne man sich begegnen, indem man sich über die Kunst des Hauses unterhält oder solches „erfahren, indem die Kultur dargestellt wird“. Oder man könne sagen: „Ich habe beim Frühstück neben Frau Landgrebe gesessen“ (da würde wohl selbst der kaviar schal und der sekt schimmeln. sezza). Überhaupt gehöre die darstellende Kunst bisher zu den Hauptnutzern, glücklicherweise, denn damit habe man direkt in die Zielgruppe getroffen: „Künstler, Kunstsammler, Architekten, Anwälte, Kaufleute, kurz, Selbständige und Freiberufler, die Wert darauf legen, im Herzen der Stadt ein Hotel zu besuchen mit einer guten Kunstatmosphäre, einem guten Image, einem guten Design und vor allem gleichgesinnten, kunstinteressierten Gästen“, will sagen Mathieu Karriere trifft Gudrun Langrübchen im Gespräch mit Rasierwassermillionär „Russisch Leder“.

Kunst und Kommerz gehen elegant ineinander über in der Big -Whopper-Family der Ereignisindustrie. Das Art'otel ist nur das erste Glied „einer sich etablierenden neuen Kette in verschiedenen großen Städten Deutschlands“ - und wie zum Beweis schmeichelt unaufdringlich eine harmonische Lautsprecherstimme auf der Suche nach einem Verschollenen, wie man es aus kundenbewußten Baumärkten kennt. Nur hochwertige Ware wird hier vertrieben: die Einrichtung, von einem Künstler dominiert und bis ins Detail durchdesignt, orientiere sich am Standard eines Fünf-Sterne -Hotels, die Zimmer seien allerdings kleiner. Warum? Vostell hat, so Gädeke, das „ganze Haus mit seiner Kunst durchzogen“. Nur in die Schlafzimmer kam er ganzkörpermäßig nicht hinein, mußte sich mit Siebdrucken an den Wänden begnügen...

Hier war das Architektenehepaar Nalbach am Werk, um den „Hintergrund“ dieser „großen Persönlichkeit“ zu schaffen. Modern, fröhlich, leicht, jung, international sind die Kriterien. Der Teppich im Empfangsraum (David Hockney) ist rot-blau-gesprenkelt, gelb-girlandet, die Zimmer, in abgetönten Grün-, Grau-Blaufarben gewandet, wirken aufdringlich schlicht wie ein Mädchenpensionat. Nacht- und Fernsehtischchen schweben an geschwungener Wandpaneele („Nalbachkurve“), das Klo ist in den toten Türwinkel weggestylt. Vom Balkon hat man gute Aussicht auf Kudorf und internationale Freizeitspiele aller Art. Auf dem Nachttisch prangt das Kunstblatt („Das Hotel will informieren über das kulturelle Geschehen der Stadt“), ein Gebrauchsheftchen enthält eine Getränkeliste und eine Übersicht über sämtliche Kabelprogramme. Mehr als Bett, Tisch, Stuhl, Garderobe, Dusche paßt in die Bewahrräume nicht hinein. Ganz besonders stolz ist der Direktor auf die Zimmernummern, die durch eine Linse auf den Flurboden projiziert sind („Sowas gibt's nur in Paris, aber noch unterentwickelt“). Bei Notbeleuchtung prangen die Computerzeichen wie Zellenziffern - der heutige Kunstzeuger ist offenbar einfältig im Genuß, aber anspruchsvoll in der Gleichschaltung.

Vostell, der am liebsten alles alleine gestylt hätte, schmollt noch ein bißchen. Seine für die Eingangshalle geplante „Medienplastik“ wird erst nach der Expansion in das anliegende Bürohaus für ihn werben.

Dorothee Hackenberg