■ Ein Interview mit einem, der wohnt

X.: Moritz I, Ihr wohnt hier zu zweit in einer typischen Berliner Hinterhaus-Zweizimmerwohnung. Wer bist Du eigentlich?

M.: Die Frage stelle ich mir ungefähr seit 19 Jahren Moritz I, wer bist Du eigentlich? - du Lottermann, wie lebst Du eigentlich, wie wohnst Du eigentlich, ist es eigentlich wohnen, ist es eigentlich leben?

Wahrscheinlich wie meistens, mal ein bißchen mehr wohnen, mal ein bißchen mehr leben.

Jaja, genau. Da gibt's so 'nen schönen Artikel übers Wohnen, wie war der denn nochmal?... Da gibt es so einen Scheißer, der behauptet, er würde gerne mal nur wohnen. Wie macht man das eigentlich, den ganzen Tag lang nur wohnen? Also, ich will eigentlich nur wohnen, was mach‘ ich da eigentlich, ich sag‘, jetzt wohn‘ ich nur, sitz‘ ich da und wohne, lieg‘ ich da und wohne, oder geh‘ ich rum und wohne, das ist unwahrscheinlich kompliziert.

Nee, wahrscheinlich indem Du alle Möbel, die Du hast, benutzt.

Aaah! Alles bewohnen, dann muß ich kochen, muß mich waschen...

Ob das noch wohnen ist?

Ja eben. Das müßte man spezifizieren, ob das noch wohnen ist. Zum Beispiel dasitzen und meine Wohnung angucken, das ist ja schon wohnen und total verzweifelt versuchen, sich wohlzufühlen. So, jetzt fühl‘ ich mich wohl! Das ist meine Wohnung! Und die hab ich mir ganz bewußt so eingerichtet! Jetzt muß ich mich wohlfühlen, jetzt bewohn‘ ich meine Wohnung. So, also ich bin arbeitslos, das ist ganz wichtig, oder? Daß ich arbeitslos bin und es seit Wochen nicht packe, aufs Sozialamt zu gehen und mein Geld abzuholen. Bin also kurz vorm Asozialen. Rein geistig bin ich also schon fast asozial.

Und das, wo das Arbeitsamt um die Ecke ist.

Und das, obwohl das Sozialamt zu Fuß zu erreichen ist. Und das im Regen. Ich hab‘ sogar 'nen Regenschirm. Ich wollt‘ ja immer schon ein Fahrrad in der Wohnung haben, ich hätte gern so eine große Wohnung, daß ein Fahrrad hineinpaßt.

Quatsch! Haste Bock, das Fahrrad vier Treppen hoch- und runterzutragen?

Ein Fahrrad in der Wohnung stehen zu haben, einfach um sich wohlzufühlen, zum Wohnen, im Bett liegen und sein Fahrrad angucken, daß Bewegung so manifestiert wird. Ich hab‘ ja unten ein Fahrrad, aber das ist halt kaputt, weil ich den Unfall hatte. Ich glaub‘ ich hol‘ den Vorderreifen hoch und häng‘ mir das Ding an die Wand.

So symbolisch, oder wie?

Jaja, genau.

My home is my castle.

Genau, und sich dann wohlfühlen in der Sicherheit. Also, ich brauche dringend einen neuen Teppichboden, das ist die nächste Aktion, denn als ich in Luxemburg war, haben mir die Katzen den ganzen Boden versifft. Hab‘ natürlich kein Geld dafür, es gibt kein Einrichtungsgeld vom Sozialamt, schon mit dem Kleidergeld ist es kompliziert. Das ist die erste Wohnung nach meiner gescheiterten Ehe, das ist noch wichtig. Das sind fast alles Sachen, die ich aus der Ehe gerettet habe. Ich hab‘ selbst kaum was, hab‘ mir nie was gekauft. Das einzige, was ich mir wohnungseinrichtungsmäßig mal gekauft habe, sind die zwei Bücherregale. Der Rest sind Geschenke.

Warum hast Du die Regale gekauft, hast Du die Bücher vorher gestapelt gehabt?

Die Bücher waren ziemlich in Kisten verstaut. In den Kisten haben die sich angesammelt. Ich hab‘ eine Zeitlang gearbeitet und hatte genügend Geld, mir Bücher zu kaufen. Und ich steh‘ auch total auf Bücher und will sie nicht in Kisten haben, um jederzeit Zugriff zu haben. Ich will einfach gucken, manche habe ich immer noch nicht gelesen, obwohl ich sie schon seit Jahren besitze.

Hast Du mal richtig Trompete gelernt?

Ich hatte sieben Jahre lang Unterricht. Das ist ungeheuerlich. Ich bin der schlechteste Trompeter der Welt. Ich bin davon überzeugt, das ist echt witzig. Jetzt aufgrund meiner finanziellen Lage haben sie mich halt rausgeschmissen aus der Musikhochschule.

Gehn wir doch mal zu den Stühlen über.

Der weiße hier ist aus irgendeinem Straßencafe, den haben wir vor Jahren abgestaubt. Ein Freund von mir hat das geregelt, da war Stuhlknappheit, und da hat er die organisiert.

Wo kommt der Fernseher her?

Oah, der Fernseher, der ist supergut. 1986 zur WM in Mexico. Den hab‘ ich gekauft damals für 150 Mark, drei Jahre ist das schon her, und er läuft immer noch astrein. Ab und zu macht er noch ein bißchen Farbstich, jetzt hat er den dritten Frühling und macht komischerweise ganz gute Farbe wieder.

Und dann trinkst Du immer aus Deiner Tasse hier.

Ja genau, die Tasse ist auch klasse. Die schöne Story war, daß ich damals in der WG war, da war auch Fußball abends. Europapokal, und dann wollten wir natürlich Fußball gucken, Essen machen und so, und dann hat mein Kumpel gesagt: Moritz I, Du trinkst natürlich aus dem Becher mit der deutschen Fußballweltmeisterschaft 1974 aufgedruckt, weil der andere Mitbewohner sowieso nie draus trinkt. Und abends später, nach ein paar Drinks, hab‘ ich mit ihm (dem Mitbewohner) zusammen gesessen, und dann sagt er mir plötzlich im Vertrauen (er war richtig sauer, daß der andere das falsch dargestellt hat): Das stimmt übrigens nicht, ich trinke sogar sehr oft aus dem Becher, das ist ein Geschenk meines Vaters - aber Moritz I, ich schenk ihn Dir. Und deshalb ist es ein absolutes Andenken. Der ist mir richtig lieb.

Und wie sieht's aus mit Dekoangelegenheiten, z.B. der Graffiti-Wand im Flur?

Die Idee war, daß sich die Leute ausdrücken oder irgendwas machen können, aber das hat nicht so ganz funktioniert am Anfang, weil die Leute unter Leistungszwang geraten sind, die sollten was hinschreiben, und dann ist denen nie was eingefallen. Dann bin ich selbst dazu übergegangen, selbst Sprüche hinzuschreiben, die mir Leute auf Postkarten oder Briefen geschickt haben oder die ich irgendwo gelesen hab‘. Mittlerweile funktioniert das ganz gut. Manchmal führt das aber auch zu Mißverständnissen. Einer der schönsten Sprüche „Alles Fotzen außer Mutti“, der hat letztens zu Verwirrung geführt, weil sich 'ne Frau darüber mokiert hat, die hat den ironischen Unterton nicht verstanden. Es ist gerade so wunderschön, weil es aus dem Mund von „Bob“ kommt. Bob ist aus der Fünfziger-Jahre-Reklame für Zahnpasta und ist eigentlich eine Sekte, aber eigentlich eine Verarschung einer Sekte. Ich bin da übrigens auch Papst in der Sekte geworden, und jeder Papst kann andere auch zu Päpsten ernennen. Es gibt Tausende von Päpsten dieser Sekte. Eine echte Anti-Sekte.

Wie waren denn früher die Wohnstrukturen, und wie haben sie sich verändert?

Früher hab‘ ich im kleinen Zimmer Bett und Kommode gehabt und da geschlafen. Seitdem Moritz II noch hier wohnt, hat sich das geändert. Ich wollte eigentlich nie mehr so jugendzimmermäßig wohnen, d.h. schlafen, arbeiten und essen in einem Raum. Und wenn dann alle rauchen, schläft man anschließend im selben Raum, und das ist natürlich etwas blöd. Das Bett stört mich einfach, weißt Du, ich lieg‘ dauernd im Bett, weil's einfach da ist. Also, wenn ich hier so sitze und lese, dann überleg‘ ich, im Bett ist es doch angenehmer, dann lieg‘ ich im Bett.

Sitzt ihr denn auch in der Küche zusammen?

Darum hat Moritz II den Tisch gebaut, denn im Sommer kommt da morgens Sonne rein, und zum Frühstücken und Zeitungslesen ist das angenehmer. Du weißt ja, wie das so ist. Ramawerbung, volle Breitseite die Sonne, daß ich schwitze hinten, wunderbar. Das Frühstück mundet, und du bist wirklich happy. Eine andere Überlegung, die ist ein bißchen spinnert, die hat mir saugut gefallen: Die Wände von Küche und Bad sind keine tragenden, und da haben wir einfach gedacht, statt der Wand an der Dusche Glas zu machen. Die Wand rauszuhauen und da Glas und Fenster reinzubauen.

Richtig von oben bis unten?

Jaja, die ganze Ecke aufmachen. Das Gute ist, wenn Gäste kommen, und du stehst unter der Dusche.

In Kooperation mit Marc Scritti