Der erste Cyberpunk

■ George Lucas‘ faszinierendes Debut „THX 1138“'So., 20.10, Pro 7

Mit seiner Star Wars-Trilogie rettete Lucas Ende der Siebziger die marode Hollywood-Filmindustrie vor dem Bankrott und setzte unübersehbare Akzente. Er reduzierte das Kino auf das Prinzip der Schaulust, indem er die Weichen für das moderne High-Tech-Kino stellte, das mit immer größerem finanziellen Aufwand auf unmittelbare Einspielergebnisse angewiesen war. Erstaunlich, daß er dieses Prinzip der über Kunst und Kultur dominierenden, reinen Techno-Ökonomie inhaltlich bereits in seinem von Francis Coppola produzierten Regiedebut von 1969 thematisiert hatte.

Dieser streckenweise surreal anmutende Cyberspace-Film spielt nach atomarer Verwüstung der Erdoberfläche in einem sowohl unterirdischen als auch innerpsychischen Labyrinth. Kahlgeschorene Uniformierte arbeiten roboterhaft in endlosen Werkhallen. Das Problem der Emanzipation ist „gelöst“, denn jegliche Form von Sexualität ist streng verboten. Gleichberechtigt investieren Männer und Frauen alle Energie in die Produktion.

Die zynischerweise nicht einmal düstere Zukunftsvision, die „THX 1138“ entwirft, ist weit mehr als nur eine Synthese aus Orwells Überwachungsstaat und Huxleys Abschaffung der Humanität. In der Welt von „THX“ gibt es keine Menschen mehr, sondern nur noch „Subjekte“. Sie wohnen in strahlend weißen, antiseptischen, unmöblierten Parzellen, deren einzige Ausstattung eine Kloschüssel, ein Hologrammbildschirm und ein Arzneischrank ist. Jedes Subjekt steht per neuronal kybernetischem Interface mit dem Rechenzentrum in Verbindung. Biologische Funktionen bis hin zu den Hirnströmen werden durch staatlich verordneten, streng dosierten Drogenkonsum so päzise geregelt wie das Fließband bei Opel Rüsselsheim.

Durch illegalen Drogen-NICHT-Konsum und dadurch bewirkten Beischlaf mit seiner Mitbewohnerin LUH erzeugt THX schrille Werte auf den Überwachungsmonitoren. „Denksperre!“, fordern die einen; „Schicht geht vor!“ interveniert THX‘ Vorarbeiter. Die Brennstäbe können nicht warten. Nachdem der automatische Beichtstuhl ihm nicht mehr helfen kann, wird THX ärztlich untersucht, was ungefähr so aussieht, als würden ein paar abgedrehte Informatikschnösel eine Diskette formatieren.

Mit gringem Aufwand hat Lucas eine ästhetisch faszinierende und inhaltlich stringente Vorwegnahme dessen geschaffen, was seit ein paar Jahren unter dem Etikett „Cyberpunk“, eine „neue“ Spielart des Genres Sience-Fiction, Freunde von bizarren Zukunftsvisionen begeistert. William Gibson und seine Kollegen beschreiben in ihren Geschichten eine Welt, die von wenigen multinationalen Konzernen beherrscht wird. Die Helden dieser Zeit sind junge Computer-Cracks, die sich gegen diese Firmen zur Wehr setzen.

Auf der Flucht aus dem Anti-Knast, einem abstandslosen, weißen Nichts, in dem sozial untragbare Subjekte über Sinn und Zweck der Motivation philosophieren, wird THX nur genau so lange von „Beamten“ verfolgt, bis das Budget seines eigenen Sparkontos erreicht ist. Seine „Freiheit“ als Mehrwert mit sich führend, erreicht THX die verwüstete Erdoberfläche. Wie es da weitergeht, erfahren wir am Dienstag in Bessons (nicht Bressons) Der letzte Kampf, der, wir wissen es, um die letzte Frau ausgefochten wird.

Manfred Riepe