Eine wirtschaftliche Magerkur für die USA?

In den USA häufen sich die Zeichen einer beginnenden Wirtschaftskrise: Das Haushaltsdefizit gerät außer Kontrolle, die Unternehmensgewinne gehen zurück, Zinsen steigen, Sparkassen und Hypothekenbanken gehen Bankrott, die Arbeitslosen nehmen zu, der Dollar fällt/ Jetzt muß George Bush über Steuererhöhungen nachdenken  ■  Aus Washington Rolf Paasch

„Schaut mir auf die Lippen, Leute“, so versprach der Präsidentschaftskandidat George Bush im Wahlkampf 1988 den Amerikanern den fast abgabefreien Himmel auf Erden: „Keine neuen Steuern!“ Doch eineinhalb Jahre später müssen die US -Bürger, wie es die 'Washington Post‘ formulierte, statt den „Lippen“ den rhetorischen „Ellipsen“ ihres Präsidenten folgen. Als einer der letzten im Lande hat nun auch George Bush erkannt, daß ohne zusätzliche Staatseinnahem das Haushaltsdefizit nicht in den Griff zu bekommen ist. Deswegen will George nun mit den Führern des Kongresses „ohne Vorbedingungen“ zusammentreffen und über Möglichkeiten zur Reduzierung des chronischen Haushaltsdefizits zu sprechen. Kurzum, der Präsident ist unter Umständen bereit, sein Steuerverprechen zu vergessen.

Was war geschehen, daß sich der selbsterklärte Feind staatlich organisierten Lohnklaus mit den jahrelang als ausgabenwütig und steuergeil gebrandmarkten Demokraten nun an einen Tisch setzen will? Nun, während die Bush beratenden Voodoo-Volkswirte vor wenigen Monaten noch zuversichtlich waren, dem Konjunkturzyklus ein weiteres Schnippchen geschlagen zu haben, häuften sich in den letzten Wochen die Zeichen dafür, daß nach siebeneinhalb fetten Wachstumsjahren für die Amerikaner nun eine wirtschaftliche Magerkur ansteht.

Denn das Haushaltsdefizit, so hat die Bush-Administration plötzlich erkannt, ist im Begriff, außer Kontrolle zu geraten, und droht dabei das Land in eine Rezession zu stürzen. Am Dienstag hatte Budgetdirektor Richard Darman zu erkennen gegeben, daß das Defizit des im Oktober beginnenden Haushaltsjahres 1991 mehr als 100 Milliarden Dollar über der gesetzlich vorgeschriebenen Defizitgrenze von 64 Milliarden Dollar liegen könnte. Statt der erwarteten Kürzungen von 35 Milliarden Dollar müßte demnach die dreifache Summe gestrichen werden; es sei denn, man schüfe zusätzliche Einnahmequellen.

Ein Rückgang der Unternehmensgewinne mit entsprechenden Steuerverlusten sowie höhere Zinsen als erwartet, so Darman, seien für die Fehlprognose der Administration verantwortlich gewesen. Vor allem aber die sich rasch verteuernde Kollektivpleite Hunderter Sparkassen und Hypothekenbanken, die sogenannte „Savings and Loans“ - oder kurz S&L-Krise läßt das Budgetdefizit in neue Höhen schnellen.

Diese größte Bankenkrise der Menschheitsgeschichte wird den US-Steuerzahler über die nächsten 30 Jahre mindestens 500 Milliarden Dollar kosten, die für die staatlich garantierten Spareinlagen der bankrotten Sparkassen ausgezahlt werden müssen.

Allein in diesem Jahr wird die Bush-Administration mehr als 80 Milliarden Dollar für die Sanierung des kollabierten Sparkassensystems ausgeben müssen. Diese unvorhergesehene Aufnahme von neuen Milliardenanleihen durch die Regierung treiben den Zins weiter in die Höhe, während die vom staatlichen Konkursverwalter auf den Markt geworfenen Immobilien der insolventen Sparkassen die Preise des kränkelnden Wohnungsmarktes weiter in den Keller sinken lassen.

Daneben schaut die Autoindustrie der Rezession bereits in Auge, ist der Junk-bond-Markt auch nicht mehr die Pumpmaschine, die er mal war, und ist auf dem Arbeitsmarkt ein erster Beschäftigungseinbruch zu verzeichnen. Bei all diesen schlechten Zeichen für die US-Wirtschaft sackte dann in dieser Woche auch prompt der Dollar an den internationalen Devisenmärkten in sich zusammen.

Des Präsidenten Entscheidung, angesichts dieser negativen Wirtschaftsindikatoren jetzt einen Verstoß gegen sein Steuerversprechen in Betracht zu ziehen, folgt dabei einer rein politischen Logik. Bush hat Angst, daß ein zusätzlicher Kreditbedarf im nächsten Jahr die Zinsen hochtreiben könnte, was ihm dann eine Rezession just vor den Präsidentschaftswahlen von 1992 bescheren könnte. Dann lieber jetzt ein paar unpopuläre Maßnahmen durchdrücken, die in zwei Jahren längst vergessen sein werden, auch wenn dieses Steuergerede jetzt einige republikanische Kongreßabgeordnete ihre Wiederwahl kosten könnte. Aus ihren Reihen kommt dann auch die schäfste Kritik an der angedeuteten Kehrtwende Bushs in Sachen Steuererhöhungen.

Viele Republikaner hatten ihre Wahlkampagne führen wollen, indem sie die Demokraten als Partei der Steuererhöhungen diskreditierten, eine nach acht Jahren Reagan immer noch erfolgreiche Strategie. „Die nationale Sicherheit interessiert heute doch keinen mehr“, so klagte der republikanische Kongreßabgeordnete Vin Weber. „Steuern waren unser einziges Thema.“

Doch die Demokraten jetzt zu Gesprächen über mögliche Steuererhöhungen einzuladen ist eine geschickte politische Falle. Damit wird den Demokraten der schwarze Peter zugespielt, die Forderung nach Steuererhöhungen zu erheben, der die Bush-Administration dann in einigen Punkten „widerwillig“ nachgeben könnte. Und mit etwas Glück hofft Bush, im Schatten einer Erhöhung der Benzin, Zigaretten oder Alkoholsteuern doch noch seinen im letzten Jahr abgelehnten Vorschlag zur Kapitalertragssteuer durchsetzen.

Von Vorschlägen zu einer Umkehr der regressiven Steuerpolitik der Reagan-Jahre sind Republikaner und Demokraten derzeit noch ebenso weit entfernt wie das US -Haushaltsdefizit von seinem Ausgleich.