Sandinisten wirtschafteten in die eigene Tasche

■ Staatseigentum wurde nach dem Wahlverlust in großem Stil veruntreut / Selbstamnestierung war noch vor dem Regierungswechsel beschlossen worden / Am liebsten japanische Autos / FSLN-Parteitag soll Vorwürfe klären und neue Leitung bestimmen

Managua (wps) - Staatseigenes Land, Häuser, Vieh, Autos, Boote, Funkgeräte und Baumaterial im Wert von Millionen US -Dollar sind von Sandinisten veruntreut worden. Seit ihrer Wahlniederlage am 25.Februar bis zur Regierungsübergabe zwei Monate später hatten bei der Regierung angestellte Mitglieder der FSLN in großem Stil Staatseigentum „privatisiert“.

Berater von Präsidentin Chamorro schlugen Alarm wegen „systematischer Plünderung von Staatseigentum“ und amtlicher Versuche, dies geheimzuhalten. Die Verluste könnten ihre Anstrengungen hemmen, eine durch jahrelangen Contra-Krieg und sandinistische Wirtschaftsfehler daniederliegende Ökonomie wiederzubeleben.

FSLN-Sprecher haben manche Schenkungen, wie Autos und Häuser, als rechtmäßiges Entgelt für revolutionären Dienst verteidigt. Von der neuen Regierung wird die FSLN dafür der Unterschlagung beschuldigt.

In einem Fall waren drei Containerschiffe und zwei Tanker der regierungseigenen Schiffsflotte verschwunden und in New York zum Verkauf aufgetaucht. Ebenfalls verschwunden, so sagen benachbarte Bauern, sind 7.000 der 17.000 Rinder eines staatseigenen Viehzuchtbetriebs.

Angestellte berichten, daß ein ganzer Erholungsort - fünf Bungalows im Nationalpark um den Vulkan von Masaya - in einer Nacht abgebaut und mit schweren Lastwagen unter Armeebewachung fortgeschafft worden sei.

Großer Diebstahl hat kleine Städte wie Diria, südöstlich von Managua, getroffen, wo 3.000 Zementplatten für eine neue Friedhofsmauer und Nähmaschinen der Näherei-Kooperative verschwanden, sagen Einwohner.

„Präsident Daniel Ortega macht die nordamerikanische Aggression für den Zustand der Wirtschaft verantwortlich, aber in diesen letzten Wochen ist die Aggression direkter: Sie kommt von den Sandinisten selbst“, sagt Salvador Murillo, ein Angestellter im Tourismus-Ministerium.

Die FSLN hat einen Teil des offensichtlichen „Privatisierungen“ abgestritten. In den letzten Treffen mit den Übergabe-Teams der neuen Präsidentin jedoch verzögerten sie die Übergabe der Inventurlisten, der Kassenberichte und Bankauszüge aller Regierungsstellen bis zum letzten Tag.

Jaime Icabalceta, ein Chamorro-Sprecher sagte, daß die Sandinisten offensichtlich in den letzten Wochen vor dem Machtwechsel die meisten der staatlichen Landwirtschaftsgüter und ebenfalls viele neue Fahrzeuge der Ministerien billig verkauften oder verschenkten. So hätten einige Ministerien weniger als fünf Autos übergeben.

Zehn der Viehzuchtgenossenschaften in der südlichen Provinz Rivas, sagte er, seien privatisiert worden. Eine bekam die sandinistische Armee, eine andere Ivan Carcia, der scheidende Direktor des bislang sandinistischen Fernsehens.

Die Ironie liegt darin, daß die Sandinisten, nach einem Jahrzehnt Verpflichtung auf eine regulierte Wirtschaft, plötzlich die Prinzipien des freien Marktes annehmen. Sie kommen Violeta Chamorros Versprechen zuvor, den größten Teil des Staatseigentums zu verkaufen. Dabei sichern sie sich vieles selbst zu Ausverkaufspreisen und unterhöhlen die Möglichkeiten der neuen Regierung, an Bargeld zu kommen.

„Sie saugen den Staat aus, um ihre eigenen Firmen aufzubauen“, sagte ein nordamerikanischer Geschäftsmann der wieder ins Geschäft kommen will, „sie schaffen einen Staat im Staat.“

Autos waren leidenschaftliches Thema in den Regierungsstellen während der letzen Wochen. Im Handelsministerium bekamen 15 Abteilungsleiter bereits zugesagte Autos kostenlos und zwölf andere sandinistische Parteimitglieder forderten das Privileg, fünf weitere Autos für je 30 Dollar zu kaufen, sagte ein Angestellter.

Einige Ministerien haben sogar neue Autos gekauft, um sie mit enormen Preisnachlässen an treue Angestellte weiterzuverkaufen. Die Importfirma Casa Pellas berichtet, im März und April etwa 160 neue japanische Autos, Lastwagen und Jeeps verkauft zu haben - doppelt so viele wie vor den Wahlen. Die meisten hatte die Regierung gekauft.

Der frühere sandinistische Vizepräsident Sergio Ramirez und andere ehemalige Regierungsvertreter haben sich gegen solche Vorwürfe verwahrt.

Aber Ramirez gestand ein, daß ein im letzten Monat von der sandinistisch dominierten Nationalversammlung verabschiedetes Gesetz Verdacht erregt hatte. Dadurch sind Regierungsvertreter für jegliche Vergehen bis ans Ende ihrer Amtszeit immun. Für die Chamorro-Regierung ist dies „das erste Gesetz in der Geschichte, das Plünderungen im Voraus billigt“.

Voraussichtlich an diesem Wochenende wird die FSLN einen Parteitag abhalten. Die „sandinistische Versammlung“ wird nicht-öffentlich tagen und soll die Vorwürfe der Korruption und der Zukunft der Partei behandeln. Erstmals soll auch eine neue Nationale Leitung bestimmt werden.

Richard Boudreaux