Am Kanzler kommt einfach keiner vorbei

■ Politik und Fußball im Doppelpaß - Parallelen zweier Metiers

Jedes Spiel dauert 90 Minuten, lautete eine der Weisheiten Sepp Herbergers. Der legendäre Fußball-Nationaltrainer scheint auch diesmal recht zu behalten: Ab der 33.Minute stürmten die Deutschen so wild drauflos, daß sie zur 45.Minute vernichtend geschlagen zur Pause wankten, doch nun, in der letzten Minute, scheinen sie noch die Wiedervereinigung und den Sieg zu schaffen. Ob sich dieses Wunder auch bei der kommenden Fußball-WM in Italien wiederholt, mag man sich gar nicht ausrechnen; für Norbert Seitz aber gibt es keinen Zweifel, daß zwischen Fußball und Politik eine nahtlose Übereinstimmung gewachsen ist. Der britische Fußball wurde unter Maggie Thatchers brutalem Regiment disqualifiziert, der Spielwitz eines Platini geriet ihm als Nationaltrainer unter Mitterrand zur puren Reminiszenz an die versprochene Reform, und der Bundesfußball verkam unter Kohl zur Renaissance der unsensiblen Deutschen, bilanziert Seitz die Überlappung beider Sphären in dem neuen Buch: Kohl und Maradona Politik und Fußball im Doppelpaß (Eichborn-Verlag). Machte der Triumph von 1954 die Niederlage von '45 vergessen, lief mit der Reformära Brandt auch der Fußball zu Spiel- und Reformfreude auf - um nach der Wende in die zementierte Phase des neokonservativen Fußballs abzustürzen. Im Gegensatz zu Italien, wo als Spitze gesellschaftlicher Modernisierung in Europa auch der Fußball mit spielerischer Brillanz zum triumphalen Steilpaß angesetzt hat. Modernisierer befinden sich wie bei der CDU im Abseits, und Teamchef Franz Beckenbauer beweist sich nicht als Reformästhet, sondern als knallharter Rasenökonom. Bei den Parallelen beider Abläufe graut es Seitz angesichts des Meistertitels für Bayern München vor der Bundestagswahl: Schließlich genössen „nur zwei gesellschaftliche Phänomene in Deutschland den fragwürdigen Ruf, pausenlos Schwein zu haben: Kohl und der FC Bayern“.

Für die Fußball-WM in Italien wie für die deutsche Einheit bleibt der Linken hierzulande wenig. Die Hoffnung, die Franzosen hätten es nach der Niederlage in Spanien '82 endlich gelernt, gegen die Deutschen auf Zeit zu spielen, scheiterte schon in der Qualifikationsrunde. Bleibt nur, auf eine Neuauflage des bewährten Abwehrriegels Catanaccio unter Federführung des italienischen Regierungschefs Andreotti zu setzen? Oder sollte gar erneut ein sowjetischer Linienrichter wie jener Bachrarow nötig werden, der 1966 beim Endspiel im Londoner Wembley-Stadion gegen die Engländer beim entscheidenden Torschuß der Deutschen von der Seitenlinie die Abseitsfahne schwenkte?

Gerd Nowakowski