Kazimiera hakt im Westen nach

■ Litauens Premierministerin zufrieden mit Gesprächen in Paris und Bonn / Jetzt müssen Kohl und Mitterand Initiativen ergreifen / Paris als Verhandlungsort vorgeschlagen / Suspendierung einiger Gesetze möglich

Paris/Bonn (taz) - Nach Gesprächen mit Kohl und Genscher am Freitag erklärte Kazimiera Prunskiene, sie sei in Bonn auf Verständnis für den Wunsch des litauischen Volkes nach Unabhängigkeit gestoßen. Die abwartende Haltung des Westens sei ihr erklärlich. Allerdings überschätze der Westen die Gefahr, daß Gorbatschow wegen der Unabhängigkeitsbestrebungen der baltischen Staaten von den Konservativen gestürzt werden könne. Litauen, sagte sie, ist bereit, die Anwendung einiger Gesetze zu suspendieren. Für die Lösung des gesamten Problems sind jetzt Verhandlungen und Kompromisse nötig. „Das Szenario von Mitterrand und Kohl paßt uns ganz hervorragend“, hatte die Premierministerin schon am Donnerstag erklärt, nachdem sie sich mit Fran?ois Mitterrand unterhalten hatte. „Für uns ist klar, daß in dem Brief von Mitterrand und Kohl lediglich die Auswirkungen von Entscheidungen unseres Parlaments infrage gestellt werden, nicht aber die Unabhängigkeitserklärung selbst.“ Jetzt gehe es darum, den von Frankreich gewünschten Dialog auch zu praktizieren: „Wir sind bereit.“

Frankreichs Präsident wird am 25. Mai nach Moskau fliegen, unter anderem, um Gorbatschow zu einem „wirklichen Dialog und einer Diskussion mit institutionellem Charakter“, so Mitterrand, zu bewegen.

Nach wie vor tut Frankreich alles, um den Eindruck zu vermeiden, in einem formal innersowjetischen Konflikt als Vermittlerin aufzutreten. Dennoch hatte Außenminister Roland Dumas diese Woche angeboten, daß Paris - „falls beide Seiten dies wünschen“ - Gastgeber für sowjetisch-litauische Gespräche sein könnte. Damit würden die Verhandlungen über die Unabhängigkeit der baltischen Republik symbolisch in den diplomatischen Status der früheren Vietnam- oder Kambodschagespräche gehoben werden. Der Vorsitzende der liberalen „Republikanischen Partei“, Fran?ois Leotard forderte Mitterrand außerdem auf, „einen Botschafter in Vilnius zu ernennen, der gemeinsam mit den betroffenen Seiten die Verwirklichung der litauischen Unabhängigkeit konkret vorantreiben“ solle.

Nach der deutsch-französischen Initiative vom 26. April hatten Oppositionspolitiker Kohl und Mitterrand mit den „Apeasement„-Politikern von 1938 verglichen. Doch die Protesterklärungen von Intellektuellen, die traditionell nie lange auf sich warten ließen, sobald irgendwo auf der Welt die „Liberte“ der Realpolitik geopfert wurde, sind bislang ausgeblieben. Und dies nicht allein, um Gorbatschow zu schonen. Immer deutlicher zeigt sich, daß die Litauer jene deutsch-französische Erklärung sehr geschickt für ihre eigene Verhandlungsposition einzusetzen wissen.

smo