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Kosmetik im Einzelfall

Der BGH-Beschluß im Fall Ingrid Strobl  ■ G A S T K O M M E N T A R

Die Freude und Erleichterung ob dieser Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) überwiegt in diesen Tagen: denn sie hat es ermöglicht, daß Ingrid Strobl endlich aus der Haft entlassen wurde. Ob die insgesamt vorbildliche (Gegen -)Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Ergebnis mit beigetragen hat, das läßt sich nur erahnen. Was bleibt, ist allerdings die Wut darüber, daß ein Mensch monatelange Ermittlungen über sich ergehen lassen mußte, Späh- und Lauschangriffen, Wohnungsdurchsuchungen und jahrelanger Inhaftierung ausgeliefert wurde, zum Teil unter den zerstörerischen Bedingungen der Isolationshaft - um dann in einer Revisionsentscheidung zu lesen, daß es so eigentlich nicht gemeint war.

Ingrid Strobl ist insoweit sicher kein Einzelfall. Aber was diese „Terrorismus„-Sonderjustiz anzurichten imstande ist, das läßt sich an diesem Fall exemplarisch verdeutlichen. Ein lehrreiches Stück Staatskundeunterricht.

Der BGH war nun offensichtlich stark bemüht, den in der Öffentlichkeit besonders kritisierten Gesinnungsanteil des OLG-Urteils zurückzunehmen. Der Ruch von „anschlagrelevanten Themen“, mit denen die kritische Journalistin sich beschäftigte, dieser schlimme Ruch, der über dem gesamten Verfahren lag, sollte getilgt werden. Deshalb mußte auch der unbegründete Vorwurf der Unterstützung einer „terroristischen Vereinigung“ nach Paragraph129a Strafgesetzbuch fallen, der untrennbar verknüpft ist mit der Kriminalisierung politischer Gesinnung. Diese Entscheidung ist zwar als schallende Ohrfeige für das Oberlandesgericht Düsseldorf zu werten, nicht aber für den Gummiparagraphen 129a.

Allerdings hat der BGH es fertiggebracht, zumindest einen „terroristischen“ Rest herüberzuretten, nämlich die Verurteilung wegen Beihilfe zu einer Sprengstoffexplosion, womöglich einer nicht verifizierbaren „guerilla diffusa“, wie es in dem Beschluß heißt. Die Beweiswürdigung des OLG hinsichtlich der „Begleitumstände des Weckerkaufs“ liege, so der BGH, „ingesamt gesehen noch innerhalb des dem Tatrichter zukommenden Beurteilungsspielraums“. Zwar läßt sich aus dieser Formulierung und dem Hinweis auf die zahlreichen „isoliert betrachtet: wenig aussagekräftigen Indizien“ auch insoweit leise Kritik herauslesen, doch es bleibt bei der Verurteilung in diesem Punkt. Angesichts der Beweislage, es sei an das umstrittene „Wecker-Fahndungsprogramm“ des BKA erinnert, eine Ungeheuerlichkeit, die mit der „freien richterlichen Beweiswürdigung“ unangreifbar gemacht wird.

Mit dieser Rettung kann nun wenigstens der Versuch unternommen werden, den ungeheuren Ermittlungsaufwand ab 1986 zu rechtfertigen, ein Aufwand, der in diesem Ausmaß jedoch nur mit Hilfe der Sonderermächtigungen des 129a betrieben werden konnte. Der erleichterte Ruf, es gebe ja noch Richter in der Bundesrepublik, die sich an den Menschenrechten orientierten, statt am Staatswohl, ist also verfehlt und verfrüht, solange es in der Bundesrepublik einen 129a und eine „Terrorismus„-Sonderjustiz gibt. Solidaritätsarbeit, Prozeßbeobachtung und die Mobilisierung der Öffentlichkeit gegen dieses Sonderrechtssystem, gegen alle Gesinnungspragraphen und gegen die politische Justiz überhaupt ist dringender denn je. Der Fall Strobl sollte dazu Ansporn sein.

Rolf Gössner

Rolf Gössner ist Rechtsanwalt und Publizist in Bremen, Mitglied der ProzeßbeobachterInnen-Gruppe. Er arbeitet an einem Projekt über politische Justiz im „Anti-Terror„ -Kampf.

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