„Wir diskutieren nicht über das Lebensrecht“

■ Krüppelinitiative und SympathisantInnen sprengten Philosophieseminar an der FU / Kritisiert wurde, daß das Buch „Praktische Ethik“ und die Thesen des umstrittenen Ethik-Professors Peter Singer zur „Euthanasie“ Behinderter zu einer Grundlage des Seminars gemacht wurden

Dahlem. Drinnen tobt der Protest. Der Qualm der Silvesterknaller reizt zum Husten.

Nachdem es in den vergangenen Monaten, in anderen bundesdeutschen Städten zu massiven Protesten gegen Veranstaltungen mit und über den umstrittenen Ethik -Professor Peter Singer kam, wurde jetzt auch in Berlin eine Veranstaltung an der FU gesprengt. Auch dort sollten Singers Thesen zur „Euthanasie“ an behinderten Menschen diskutiert werden.

Etwa hundert Frauen und Männer stürmten am Freitag abend in der Dahlemer Rostlaube das Philosphie-Hauptseminar „Probleme der angewandten Ethik“ von Dr. Beate Rössler und sprengten mit einem ohrenbetäubenden Pfeif-, Trommel- und Klatschkonzert die Veranstaltung. Sie forderten das Ende jeglicher Seminare, in denen mit Pro und Contra über das Lebensrecht von Behinderten verhandelt und diskutiert wird. „Über Ethik wird natürlich immer wieder diskutiert werden müssen, aber ich halte es für undenkbar, daß man über das Lebensrecht an sich diskutiert“, so die Kritik der DemonstrantInnen an dem Konzept des Seminars.

Eine der Grundlagen des Hauptseminars sei das Buch von Singer Praktische Ethik und dessen Thesen zur „Euthanasie“ an behinderten Menschen. Der umstrittene australische Moralphilosoph und Hochschullehrer Peter Singer ist Euthanasie-Befürworter. Er meint damit nicht die Sterbehilfe an schwer kranken und leidenden Menschen, sondern rechtfertigt die Tötung Behinderter und schwer kranker Neugeborenen.

In einem Gespräch am Ende der Aktion machten die DemonstrantInnen ihrer Kritik Luft und erklärten, warum sie jegliche Diskussion im Rahmen dieses Seminars ablehnten. „Man kann das Für und Wider von Euthanasie nicht wertfrei diskutieren, sondern es muß nach dem Zweck gefragt und politisch diskutiert werden“. Singer arbeite im Dienste der Gen- und Reproduktionstechnologie, liefere ihr eine „Gebrauchsethik“. Wenn über Singer diskutiert werde, müsse man über die Geschichte der Eugenik reden, und darüber, was heute bereits wieder praktiziert werde: die Sterilisation von Behinderten, humangenetische Beratung, pränatale Diagnostik und die volkswirtschaftliche Bewertung von behindertem Leben. Das Lebensrecht von Behinderten werde in Frage gestellt. In Krankenhäusern entschieden ÄrztInnen bereits über das Leben von schwer kranken Neugeborenen.

Dies sei in diesem Seminar ausgeblendet worden. „Zu Beginn des Seminars hatte Frau Rössler zwar gesagt, daß sie keine fundamentale Kritik an Euthanasiebefürwortern gefunden habe, die Arbeiten aber, die zum Beispiel die Krüppelinitiative dazu schon veröffentlicht habe, wollte sie nicht zulassen, weil sie dem wissenschaftlichen Rahmen nicht entsprechen“, kritisierte eine der Go-In-Teilnehmerinnen. „Es gibt keine wertfreie Pilosophie, und wir setzen voraus, daß über das Lebensrecht von Menschen nicht diskutiert werden kann.“ Auch nicht an der Universität. Daher forderten die SeminarbesetzerInnen, daß mit solchen Veranstaltungen endlich Schluß sein müsse.

Die Dozentin Beate Rössler reagierte hilflos und empört auf die Proteste und kritisierte die fehlende Diskussionsbereitschaft. Den Forderungen, das Seminar abzusetzen, will sie vorerst nicht nachgeben. „Wenn das Seminar fortgesetzt wird, setzen wir auch unseren Protest fort“, war die Antwort der DemonstrantInnen.

Michaela Eck

Heute Abend (14.5.) lädt die Krüppelinitiative um 19 Uhr im Stadthaus Böcklerpark, Prinzenstraße 1, 1/61, zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung ein. Thema: „Wer nicht leben können soll, darf sterben wollen müssen„