Nicht vorhandenes Rinderfilet ist am billigsten...

■ taz-Einkaufsbummel in den Vororten: In den Einzelhandelsgeschäften werden die auch nach der Währungsreform konkurrenzfähigen Produkte in die Lager geräumt / Waren „made in DDR“ werden verramscht oder nicht mehr angeboten

Ost-Berlin. Hausfrauen-Unmut in der Kaufhalle von Erkner, einem Vorort von Berlin. Die Lebensmittel die die Hausfrauen kaufen möchten, gibt es nicht. Die, die sie kaufen könnten, können sie nicht bezahlen. Volkseigenen, in Pfandflaschen abgefüllten Apfelsaft führt die „Kaufhalle“ nicht, dafür kistenweise „Valensina Orangennektar“ für 3,90 Ost. Die Tiefkühltruhe mit den angepriesenen Enten ist ausgeräumt, die Regale des Käsestands sind leer, das Angebot an Wurst und Fleischwaren mager. „Sehr große Auswahl hatten wir schon vor der Wende nicht“, empört sich eine Kundin, „aber das, was uns jetzt zugemutet wird, ist eine Unverschämtheit“. Früher sagte sie, hätte sie wählen können zwischen fünf verschiedenen Salami und Cervelataufschnitten, 100 Gramm kosteten zwischen 98 Pfennig und 1.04 Mark. Jetzt kann sie froh sein, wenn sie ein Stück Salami ergattert und der Preis für 100 Gramm unter zwei Mark Ost liegt. „Wie soll das erst werden, wenn die Währungsunion kommt? Kostet das dann zwei Mark West?“ Die Verkäuferin pflichtet ihr bei, der Ärger gehört zum Tagesgeschäft, aber unumwunden gibt sie zu, daß die seit einigen Wochen angehobenen Preise Richtpreise für die künftige D-Mark sind. Ihr Vorgesetzter, der Versorgungsleiter, freut sich auf die Wirtschaftsumstellung, vor allem auf die Wirtschaftsunion. „Ich wette“, sagt er, „daß die Läden am 2.Juli knackevoll sind, die Regale überquellen“. Im Moment sei die Versorgungslage schlecht, berichtet er, „wir bekommen vom VEB Kombinat Großhandel höchstens ein Viertel von dem, was wir bestellen“.

Beispiel Rindfleisch. Die in Treptow vor dem Fleischstand des HO-Ladens ausgehängte Warenangebotsliste stimmt nicht in einem Punkt mit dem tatsächlichen Angebot überein, entweder stimmt der Preis nicht mehr oder die Ware ist nicht da. „Rinderfilet“, erzählt die Verkäuferin, „gab es zum letztenmal kurz vor Weihnachten, annonciert wird es aber seit Wochen zu einem Kilopreis von 13 Mark 20.“ Etwas weiter, in einer privaten Metzgerei, gibt es Rinderfilet, aber nicht zum subventionierten Preis von 13 Mark, sondern für stolze 46 Mark. „Wenn ich kein Rinderfilet hätte, dann könnte ich es auch für 13 Mark anbieten“, witzelt der Händler.

Beispiel Schinken. Vor einem staatlichen Fleischerladen in Köpenick drängeln sich die Kunden. Das Angebot ist reichhaltig, die Waren sind appetitlich, die Preise saftig. Alles gibt es aber auch hier nicht, zumindest nicht alles für jeden. Eine Kundin möchte Räucherschinken. Der sei ausverkauft, bekommt sie zu hören, die Entäuschung ist groß. Aber Räucherschinken gibt es, ein Kunde mit DM beweist es. Im Kühlraum des Ladens hängen große Schinken an Haken. Sie duften, und die Wartezeit bis zum 2.Juli macht den Schinken nur noch reifer.

Noch deutlicher gehortet als im Lebensmittelhandel mit den leicht verderblichen Waren wird in den Haushaltswarenläden, in Plattengeschäften und natürlich in den Buchläden. Große emaillierte Kochtöpfe, noch im Januar für 20 Ostmark zu bekommen, sind aus den Läden verschwunden. Leergefegt sind die Regale in den Buchläden. Die sorgsam redigierten Heinrich Heine- und Brecht-Ausgaben sind nicht von Westlern mit schwarz umgetauschten Scheinen aufgekauft, sondern von Lehrlingen in die Lager umgestapelt worden. Eine Buchhändlerin in einer großen Ostberliner Innenstadtbuchhandlung erzählt, daß sie seit Wochen riesige Bestellungen an die Auslieferungslager versenden. „Wir bekommen nur einen Bruchteil, aber die Ware, die wir bekommen, ist vorläufig nicht für den Verkauf bestimmt.“

Im Überfluß gibt es in der DDR nur die Produkte, die nach der Wirtschafts- und Währungsunion wohl als Billigramsch auf den Jahrmärkten angeboten werden: Elektronikartikel jeder Art, Mode, Kinderspielzeug. Die Händler retten im Moment, was zu retten ist. Das Straßenbild wird beherrscht von grellen Annoncen: „Sonderangebot“, „Totalausverkauf“, „Preisreduzierung um mehr als 50 Prozent“.

aku