„Ein unwürdiges Äußeres“

■ Den Flüchtlingen aus Rumänien und Bulgarien schlägt in Ost-Berlin eine Welle von Vorurteilen entgegen / Bislang 1.100 Flüchtlinge / Probleme bei der Unterbringung, weil soziale Infrastruktur fehlt / DDR-Innenministerium erwägt Einschränkung der Visumfreiheit

Marzahn. Die Karawane reißt nicht ab. Alte, Junge, Männer, Frauen und Kinder aus Rumänien und Bulgarien, darunter viele Sinti- und Roma-Familien, treffen täglich auf den Ost -Berliner Bahnhöfen ein - auf der Flucht vor den katastrophalen Verhältnissen in ihren Heimatländern. Über 1.100 Menschen sind mittlerweile in einer Kaserne der Nationalen Volksarmee (NVA) in Biesdorf (Bezirk Marzahn) untergekommen. Die Kapazitäten dort sind damit restlos erschöpft. Seit knapp drei Wochen ist hier nichts mehr wie es war. Die AnwohnerInnen reagieren mit Ablehnung. So erklärt Familie Bausdorf ohne Umschweife: „Die sollen sie nach Hause schicken! Die machen hier nur Lärm und Dreck, und wir können ihn hinterher wegräumen! Und dann diese Bettelei - dauernd wollen sie Geld. Uns hat doch auch keiner was geschenkt!“

Herr Schulz, der zwei Häuser weiter sein Anwesen hat, meint: „Das Problem besteht darin, daß der Magistrat keine Ordnung eingeführt hat. Als sie hier anfangs bettelten, habe ich ihnen noch ein Stück Brot gegeben. Aber schon zwei Tage später kutschierten die mit dicken Straßenkreuzern durch die Gegend!“

Die „Straßenkreuzer“, die sich bei näherem Hinsehen als schrottreife Automobile der Marken Opel und Fiat entpuppen, sind auch das Ärgernis des Gehilfen des Offiziers vom Dienst (GOvD) der Kaserne: „Da haben wir vor langer Zeit mal solche Begrenzungspfähle aufgestellt - sauber und ordentlich einen neben den anderen. Und jetzt? Das müssen Sie sich mal ansehen - krumm und schief sind die Dinger. Mal hat's einen beim Einparken erwischt, das andere Mal bei ihren Wettfahrten - unmöglich sowas!“

Familie K. erzählt: „Man fühlt sich ja richtig unsicher. Da kamen die eines Tages an und bettelten. Als wir ihnen nichts geben wollten, haben die uns regelrecht bedroht! Angespuckt haben sie meine Frau auch - aber die Polizei sagt, sie könne da auch nichts machen.“ Noch härter bringt es dann Margit Roßnagel, die zwei Straßen weiter wohnt: „Die sind zu faul zum arbeiten! Die kommen nur wegen Almosen, dafür sind Zigeuner ja bekannt. Auch dafür, daß sie klauen. Man sollte sie alle zusammen in ihr Land zurückschaffen. Ich trau‘ mich nachts gar nicht mehr raus, weil man ja weiß, daß die rachsüchtig und nachtragend sind. Die sind ja auch sehr schnell mit dem Messer bei der Hand. Selbst gesehen habe ich das nicht, aber sowas weiß man doch. Ich fühle mich durch diese Menschen belästigt - schon allein durch ihren Anblick. Wie die rumlaufen! Mit zerrissenen Röcken, die Frauen rauchen Pfeife und Zigarren und so weiter. Wenn sie schon hier sind, dann sollen sie sich den deutschen Sitten anpassen, damit sie nicht so negativ auffallen.“

Gestern noch konnte die Ostberliner Ausländerbeauftragte Anetta Kahane veranlassen, daß nun noch eine Turnhalle als Notunterkunft zur Verfügung gestellt wird. Um medizinische und soziale Betreuung kümmern sich gemeinsam mit Dolmetschern MitarbeiterInnen des Magistrats und des Roten Kreuzes. Noch versorgt die NVA die Flüchtlinge mit Essen, ab Juni soll nach Auskunft der Ausländerbeauftragten der Magistrat die Kaserne als Unterkunft übernehmen. Der noch amtierende Oberbürgermeister Hartenhauer habe ihr gestern 120 Stellen dafür zugesagt.

Im Vergleich zu Flüchtlingen in anderen Ländern und Städten nimmt sich die Zahl von rund 1.100 Rumänen und Bulgaren geradezu lächerlich aus. Allerdings fehlt im Unterschied zu West-Berlin in Ost-Berlin die Infrastruktur von kirchlichen Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden. Aufgrund der ungewohnten Situation befürchtet Kahane zudem eine Hysterie auf seiten der DDR-Bevölkerung und der Behörden. In einer Erklärung vom 27.4.1990 hatte das DSU-geführte Ministerium für Innere Angelegenheiten bereits angekündigt, die visafreie Einreise für Rumänen zu „modifizieren“, falls von rumänischer Seite keine Unterstützung käme. Mit fast unverhohlen ausländerfeindlichen Formulierungen wird die Situation der Flüchtlinge darin folgendermaßen beschrieben: „Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder Verstöße gegen Aufenthaltsbestimmungen konnten bisher nicht nachgewiesen werden“, dafür werden den Flüchtlingen „starke Verschmutzungen“ und ein „unwürdiges äußeres Aussehen“ konstatiert. Bemühungen, über das Innenministerium eine ehemalige Stasi-Kaserne für die Unterbringung zur Verfügung zu stellen, blieben bis gestern abend ohne Erfolg.

anb/ok