Der Herrgott ist ein Waschlappen

Oh, wie ungerecht - am Ende landet der Hamburger SV in der Tabelle doch vor St. Pauli  ■  Aus Hamburg Jan Federsen

Der liebe Gott, ein Waschlappen. Anderthalb Stunden mühten und rackerten die Mannheimer im Volksparkstadion, auf daß der Herr ihnen eine einzige Torchance zukommen lassen möge, ihnen ein einziges Mal erlaube, den hilf- und harmlosen Hamburger SV seiner gerechten Strafe zuzuführen. Doch das Tor mochte nicht fallen - weder bei den Kurpfälzern noch bei den inzwischen wieder größenwahnsinnigen Kerls vom HSV. Denn die Waldhöfer spielten frisch, meist auch überlegt und mit Blick für die ehernen Schwächen ihres Gegners. Flügelübergreifend kickten sie sich den Ball zu und zeigten, daß es der klassischen Unentschiedenelf nur an der Kunst des Toreschießens gebricht.

Richard Golz, Tormann der abstiegsverdächtigen Hamburger, konnte also einen geruhsamen Nachmittag verbringen, zu spektakulären Paradeflügen mußte er niemals abheben. Zur Pause - auch der HSV kam nie ganz vor Zimmermanns Tor - gab es die ersten nervösen Pfiffe im Hamburger Publikum. Denn die 27.200 Zuschauer sahen auf der elektronischen Anzeigetafel, daß der VfL Bochum einem Sieg entgegenspielte, wußten somit, daß ihr HSV nicht verlieren durfte, andernfalls er in der demütigenden Relegationsrunde hätte spielen müssen.

Nur einige Male hatte das Auditorium gejubelt: Bei Zwischenständen aus Düsseldorf. Und als die Niederlage des Ortsrivalen vom FC St. Pauli bei Fortuna Düsseldorf zum 0:7 -Debakel auswuchs, lachten einige sogar. Wie gesagt: Der Herr im Himmel ist ein Waschlappen, hatte dem Europapokalgewinner des Jahres 1983 offenbar immer noch reichlich Dispositionskredit eingeräumt. Sonst hätte er nicht zugelassen, daß der HSV auch in dieser Saison vor den Paulianern stehen wird. Geflissentlich übersah der gütige Mann, daß die Großkopfeten von der Rothenbaumchaussee gegen den SV Waldhof Mannheim eben so spielten - und leider auch gewannen -, wie sie es ihren Fans, Freunden und Feinden zehn Monate lang aufs Übelste zugemutet hatten.

Die Abwehr mit Dietmar Beiersdorfer: eine Anhäufung von Freistilringern; das Mittelfeld um Armin Eck: eine Horde von trittfesten Kleinkleinkombinierern; der Sturm mit Jan Furtok: eine orientierungslose Brise. Mit anderen Worten: Wenn schon am Fall HSV keine neuen Diskussionen über die Einführung der Prügelstrafe entflammen, hätte man wenigstens auf sein Einsehen rechnen dürfen.

Doch es kam alles ganz anders. Kurz vor dem Ende scheitert Nando noch an einem Mannheimer Feldspieler, der den Schuß des Brasilianers auf der Torlinie abwehrt. In der 88. Minute aber - so peinlich wie gottergeben - läuft Thomas von Heesen außen an der Waldhöfer Abwehr vorbei, zirkelt das Leder auf Furtok - und der schießt ein. Die Kulisse jubelt, die hooliganeske Westkurve zittert und fiebert, einige Zuschauer rennen aufs Spielfeld, Jan Furtok in die Arme von Trainer Gerd-Volker Schock - Karneval im Volksparkstadion.

Nach dem Abfiff werden erstmals seit Jahren die Tore des Hochsicherheitstrakts Volksparkstadion geöffnet, ein Schwall von blauweißen Fans ergießt sich über den Rasen und läuft auf die Spieler zu. Sogar auf Stürmer Andreas Merkle, der doch so ungeschickt mit dem Ball umzugehen versteht. Doch wie er flüchten auch seine Kollegen unter die Dusche.

Herzenswarmer Kontakt mit dem Anhang? Ein Mißverständnis: Der HSV könnte auch zu playbackgespeistem Beifall spielen es käme nichts anderes dabei heraus als das, was die letzten Anhänger des HSV am Sonnabend boten. Der Feier auf dem Rasen zum Opfer fiel so denn auch ein Tor. Geknickt, sozusagen als einzige Referenz des Herrn im Himmel, standen die Torpfosten da, unschuldig und auf bessere Zeiten hoffend.

Der Stadionsprecher hatte recht: „Ein Dankeschön an die Fans, die bis zum Schluß ausgehalten haben.“ Und Trainer Schock ergänzte: „Ich will jetzt alles nur noch so schnell wie möglich vergesen.“ Somit bleibt altmodischen Freunden der Sportart Fußball nur eine Alternative: Entweder vom Glauben abzufallen oder zum FC St. Pauli zu konvertieren. Schließlich wird keine Fußballreligion katholischer inszeniert als am Millerntor.

Die „südländische Begeisterung“, die Schock seit Februar beim HSV-Volk zu entdecken glaubte, ist selbst nach protestantischen Maßstäben nichts als ein Himmelfahrtsgottesdienst gewesen.

HAMBURG: Golz - Jusufi - Beiersdofer - Bode (79. Dammeier), Moser, von Heesen, Ballwanz, Eck (58. Nando), Furtok, Merkle

MANNHEIM: Zimmermann - Güttler (60. Fellhauer) - Wörns, Dickgießer - Zechel, Lux, Franck, Siebrecht, Schindler Bührer (72. Wörner), Rudel

TOR: 1:0 Furtok (88.)